Endstation Kabul
Nachrichtengucken und Debrief, also Nachbesprechung im Bereich der Kommandos. Dabei befragte der Teamführer seine Mannschaft, um seinen Mission-Report ausarbeiten zu können. Die Berichte aller Teams hingen immer in der OPZ aus, damit alle auf dem gleichen Wissensstand waren. Paghman sollte uns noch weiter beschäftigen. Die verdammten Berge machten mir am meisten Sorge. Bis auf 4600 Meter gingen die Höhenrücken hinauf. Wir sollten in diesem Bereich weiterhin Bewegungen aufklären, um möglichst bald einen direkten Kontakt zu Janjalani herstellen zu können. Ich war gespannt, ob wir diese Vorgabe erfüllen konnten, und freute mich auf die nächsten Operationen in diesem Gebiet. Unser Fazit bisher war sehr positiv. Wir hatten schon sehr viel mehr Erkenntnisse als am Wochenbeginn. Auch die Bevölkerung gewöhnte sich an unseren Anblick und taute langsam auf. Immer mehr Punkte auf unserer Liste konnten wir abhaken. Und was noch wichtiger war: Meine erste »richtige« Operation mit den Kommandos hatte ich mit Erfolg hinter mich gebracht.
Gleich am nächsten Tag brachen wir, diesmal mit Fahrzeugen, wieder nach Paghman auf – und trauten unseren Augen nicht: Allerorten wurden wir mit freundlichem Winken begrüßt! Die Bevölkerung hatte sich tatsächlich an uns gewöhnt. Wir fuhren weiter und höher in die Berge als zuvor – auf Straßen, die diesen Namen eigentlich nicht verdient hatten. Diese Pisten machten unserem Fahrer arge Probleme: Zweimal platzte ihm ein Reifen, als er an einer engen Stelle sehr nah an den Felsen heranfuhr, um nicht abzustürzen. Gut, dass wir in weiser Voraussicht Ersatzräder aufgeladen hatten.
Als ich auf mein GPS schaute, zeigte es bereits eine Höhe von über 3000 Metern über Normalnull an. In mir breitete sich ein euphorisches Gefühl aus, ein klares Indiz für die dünner werdende Luft. Das Atmen wurde immer schwieriger. Wie bei einem Asthma-Anfall versuchte ich, nach mehr Luft zu schnappen. Mit jeder bewältigten Serpentine wurde das Kribbeln in meinen Händen stärker. Und wir hatten noch einen enormen Anstieg vor uns, bis auf 4100 Meter Höhe. Wir waren noch ein ganzes Stück unter dem Gipfel, und es pumpten bereits alle wie die Maikäfer. Vom Freifallspringen kannte ich das Gefühl schon und wunderte mich auch nicht darüber, dass meine Hände inzwischen Pfötchenstellung eingenommen hatten. Zur Überprüfung mussten alle Freifaller in regelmäßigen Abständen in einer Druckkammer Tests über sich ergehen lassen, um für tauglich befunden zu werden. Allerdings hält sich ein Springer unter normalen Umständen niemals so lange in einer so extremen Höhe auf wie wir an diesem Tag. Bereits nach dreißig Minuten Aufenthalt in über 4000 Metern Höhe treten die ersten Sauerstoffmangelerscheinungen auf. Und wir waren, das war sonnenklar, kurz vor diesem Stadium. Selbst das Feuerzeug funktionierte nicht mehr richtig.
Immer wieder fuhren wir an Afghanen mit Ziegenherden vorbei. Diese drahtigen Männer schienen keine Probleme mit der dünnen Luft in dieser Höhe zu haben. Doch die Luft war nicht nur dünn, sie war auch bitterkalt. Die Hirten hier oben trugen dünne Schuhe, Pluderhosen und einen lose um den Kopf gewickelten Turban. Kein sehr wärmendes Outfit, wie ich fand. Nach ungefähr zwei Stunden Anfahrt erreichten wir den höchsten Punkt. Das GPS zeigte 4189 Höhenmeter an. Uns allen war sehr schummerig zumute, der Ausblick entschädigte uns aber voll und ganz. Vor uns im Talkessel, unter einer gelblich-flimmernden Dunstglocke, lag Kabul im fahlen Licht. Ein gigantischer Anblick, der uns mit historischen Persönlichkeiten wie Alexander dem Großen einte. Ich konnte mir vorstellen, dass es damals – bis auf die Ausmaße der 2500 Jahre alten Stadt – nicht großartig anders aussah.
Doch ich wurde schneller als gewollt zurück in die Jetztzeit geholt, als ein Viermanntrupp von seiner Erkundung mit einem Fund zurückkam: ein russisches Dragunov-Scharfschützengewehr und die unvermeidliche Kalaschnikow. Die geladenen Waffen hatten herrenlos in der Gegend gelegen. Wir blickten uns fragend um, sahen allerdings niemanden in nächster Nähe. Dann lösten wir uns von dem gigantischen Ausblick und traten den Rückweg an. Ich wusste nur zu gut, was uns nun bevorstand: Der Abstieg würde uns noch viel mehr zu schaffen machen, denn dabei strömt die Luft zu schnell zurück in die Lungen. Alle hatten wir Kopfschmerzen, und Übelkeit machte sich ebenfalls bemerkbar. Wir schluckten Aspirin,
Weitere Kostenlose Bücher