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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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unterschiedlich, wie wir feststellen mussten. Einige Nationen hatten praktisch keine Nachtkampffähigkeit. Ohne Brillen oder Optiken für die Waffen waren sie bei Dunkelheit so gut wie blind. Von daher brauchten sie auch keine IR-Stäbe. Die sind nämlich nur durch sogenannte Restlichtverstärker sichtbar, also unsere Nachtsehgeräte. Zu allem Unglück war es fast unmöglich, mit türkischen Soldaten zu kommunizieren. Jedenfalls mit den meisten. Wenn sie überhaupt ein paar Brocken Englisch konnten, verwiesen sie sofort an die vorgesetzten Offiziere. Diese traten häufig sehr arrogant auf. Hatte man keinen entsprechend hohen Dienstgrad, redeten sie sowieso nicht mit einem. Dies war in manchen Situationen mehr als hinderlich – es war schlichtweg gefährlich.
    An diese unguten Erfahrungen musste ich denken, als wir in dieser Nacht zwei Bewaffnete am Hotel sahen. Aus unserer Entfernung war nicht auszumachen, welcher Nation sie angehörten, ja ob es überhaupt ISAF-Soldaten waren. Wären wir strikt nach unseren Regularien vorgegangen, hätte das Scharfschützenteam jetzt »Feuer frei« erhalten. Da wir aber um die zuvor genannten Probleme wussten, sendeten wir einen Trupp los, um die zwei Bewaffneten in unserem Nahbereich zu identifizieren. Und tatsächlich, es waren Türken. Auf die fehlenden IR-Stäbe angesprochen, zuckten sie nur mit den Schultern und zeigten Richtung Hotel, wo sich ihre Offiziere befanden. In jener Nacht machte sich noch mehrmals ein Trupp zur Nahbereichsidentifizierung auf den Weg. Als hätten wir mit der Bewachung des Hotels nicht genug zu tun gehabt! Wenigstens verlief das Ministertreffen am folgenden Abend ruhig. Eine Menge afghanischer Minister, Militärs sowie türkisches Militär versammelte sich vor unseren Augen und tagte bis in die frühen Morgenstunden. Den Tag darauf rückten wir, mit allen Teilen, ab. Es war mörderisch heiß auf diesem Höhenrücken gewesen, und wir freuten uns alle auf eine ausgiebige Dusche.
    Da Kabul durch die Patrouillentätigkeiten sehr gut abgedeckt war, verlagerten sich die KCT auf die Informationsbeschaffung außerhalb von Kabul. Im Vorfeld der Massud-Tage war es wieder einmal zu Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien und politischen Lagern gekommen. Wir sollten die Stimmung der Bevölkerung vor den Stadttoren einfangen und dokumentieren. Ich war immer wieder erstaunt darüber, wie schnell man diese Großstadt hinter sich lassen, ja sogar abstreifen konnte. Bereits ein paar Kilometer außerhalb der Stadtgrenzen kam man sich vor wie in einem anderen Land. Die Interimsregierung und deren Dekrete interessierten vor den Toren Kabuls keine Menschenseele.
    Schon seit mehreren Stunden waren wir jetzt über Land unterwegs und langweilten uns. Wir fuhren und fuhren. Draußen zog die immer gleiche eintönige Landschaft vorbei. Aber wir hatten uns ein schönes Spiel zum Zeitvertreib ausgedacht. Mein niederländisches Team war nämlich eine sehr musikalische Truppe. Wir hatten zwar kein Radio dabei, aber wir waren alle gut bei Stimme. Und so spielten wir über Funk »Lieder raten«. Reihum schmetterten wir einen Song in unsere Headsets hinein. Die anderen mussten erraten, welches Lied gerade zum Besten gegeben wurde. Ich hatte natürlich schlechte Karten. War ich doch alles andere als vertraut mit niederländischen Schlagern und Oldies. Mein Punktekonto wollte und wollte nicht wachsen. Nicht einmal den größten Hit einer niederländischen Sängerin, die damit in den Charts ganz oben gewesen war, konnte ich zuordnen. Meine Kameraden taten sehr gekränkt und stellten mich als absoluten Banausen hin. Doch dann war ich an der Reihe und begann munter vor mich hin zu singen. Dieses Mal waren sie die Ahnungslosen, und auch ich gab mich entsetzt: »Was? Ihr kennt dieses berühmte Lied nicht?« In unserer Generation wäre jeder nach ein paar Silben aufgesprungen und hätte laut »Biene Maja!« gerufen.
    Ich erzählte ihnen, worum es in diesem Klassiker von Karel Gott ging. Sie lachten sich fast kaputt und riefen: »Sing es noch mal, Achim!« Also begann ich erneut. Als ich beim Refrain angekommen war, sang das ganze niederländische Kommando mit. So fuhren wir durch diese unwirtliche, gefährliche Gegend und sangen das zumindest in Deutschland allseits bekannte: »… und diese Biene, die ich meine, die heißt Maja …« Ich hatte die Jungs so sehr mit diesem Song angesteckt, dass sich einer von ihnen sogar eine Folge von »Biene Maja« auf Videokassette aus der Heimat

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