Endstation Kabul
mir verdammt ernst damit war, denn er begann eifrig zu nicken, dass er verstanden hatte. Doch das reichte mir nicht, und ich nahm ihn nochmals ins Gebet. Sein Auftrag sei nun, auch die anderen Kinder davon abzuhalten, den deutschen Jungen zu verprügeln. Er nickte immer noch enthusiastisch, zum Zeichen seines Verständnisses.
Der Jeep hielt neben uns und ich öffnete die Tür. Um mich hatte sich eine Traube aus Kindern angesammelt, die neugierig guckten, was nun passierte. Mit glühenden Augen und roten Bäckchen krabbelte der kleine Soldat aus dem Wolf, wobei meine Jacke ihn fast zu Fall gebracht hätte, weil er beim Aussteigen auf einen Ärmel trat. Er sah aus wie eine Comicfigur und lachte über das ganze Gesicht. Die anderen Kinder sahen verdutzt zu und konnten nicht fassen, warum dieser kleine Kerl das alles machen und ausprobieren durfte. Ganze zwei Stunden beschäftigte sich das gesamte Kommando mit diesem Frankfurter Jungen. Von meinen Kameraden kam nicht das kleinste Murren, dass wir so viel Zeit opferten. Nein, sie alle halfen mit, diesem Jungen in der Fremde wenigstens einen unvergesslichen Tag zu bereiten. Und unser Spezialprogramm schien bereits zu wirken. Einige Kinder aus der Gruppe suchten fast seine Nähe. Sie wollten auch mal an der Jacke fühlen und sprachen mit einem Mal ganz respektvoll zu ihm. Zufrieden sah ich zu und hoffte, dass es dem Jungen in Zukunft etwas besser geht.
Bevor wir aufbrachen, schnappte ich mir ein letztes Mal den Lehrer und schärfte ihm noch einmal ein, dass er jetzt auf diesen kleinen ISAF-Soldaten aufzupassen habe. Jede Patrouille, die vorbeikäme, würde hier anhalten und sich nach dem Kleinen erkundigen. Auch wies ich ihn darauf hin, dass der Kinderhort sich materielle Hilfe von uns verspreche. Die könnten wir aber nur gewähren, wenn der Junge in Ruhe gelassen wird. Er nickte und versprach, von nun an auf den kleinen Frankfurter aufzupassen. Auch dem kleinen Jungen schärfte ich seinen neuen Status ein. Er war offensichtlich froh und stolz darauf, nun zur ISAF zu gehören. Ich schenkte ihm meine Uniformjacke, den Helm konnte ich ihm natürlich nicht dalassen. Das Kommando trat noch einmal an und salutierte vor ihm. Dann fuhren wir los.
Natürlich waren wir neugierig, ob meine Ansprache auf fruchtbaren Boden gefallen war. Also hielten wir ein paar Hundert Meter außerhalb der Ortschaft und beobachteten mit den Fernrohren, was sich dort tat. Der kleine ISAF-Mann war durch seine Tarnjacke gut zu erkennen. Er stand in einer riesigen Traube von Kindern und, oh Wunder, der Lehrer stand neben ihm und verschaffte ihm Luft. Wir grinsten uns alle an und freuten uns, ihm das Leben vielleicht wenigstens ein bisschen erleichtert zu haben. Leider schafften wir es nicht mehr, im Rahmen unserer Aufträge nochmal selbst dorthin zu fahren. Aber ich hielt mein Versprechen und erzählte diese Geschichte den Leuten, die dort Patrouille fuhren, und diese berichteten mir über ihre Zusammenkünfte mit dem kleinen ISAF-Soldaten.
Unsere Erkenntnisse des Tages wurden in einem Report zusammengefasst und an CIMIC, die Kollegen von der zivil-militärischen Zusammenarbeit weitergeleitet. Etwas später erfuhren wir, dass diesem Kinderhort geholfen werden sollte. Es wurden Gelder bereitgestellt, sodass die gröbste Not zügig gelindert werden konnte. In der letzten Zeit hatte ich immer häufiger an dem Sinn unserer Arbeit, ja der ganzen ISAF gezweifelt. Konkrete Hilfestellungen für diesen Kinderhort in der Wüstenstadt waren da eine echte Wohltat, solche Nachrichten hoben meine Moral und füllten mich mit Sinn. Wenn wir es schaffen, diesen kleinen Würmchen auf der Krankenstation das harte und schwere Leben etwas zu erleichtern, dann gab es doch einen guten Grund für unseren Einsatz. Sechs Monate in der Fremde und in einer gefährlichen Lage zu verbringen waren damit legitimiert, zumindest für mich.
Auf dem Rückweg fuhren wir noch in andere Bereiche, die noch nicht wirklich durch ISAF-Truppen aufgeklärt waren. Solche blinden Flecken auf der Lagekarte gab es zum damaligen Zeitpunkt noch viele. Südwestlich von Kabul näherten wir uns einer Ansammlung von Gebäuden, einer kleinen belebten Siedlung. Es waren klassische Plattenbauten, ehemalige Offiziersunterkünfte der russischen Armee, wie unser Sprachmittler Mustafa sagte. Ob er uns auch sagen könne, wer jetzt dort wohne, fragten wir ihn. Er druckste herum, dieses Thema war ihm sichtlich unangenehm.
Nach mehrmaligem Nachhaken rückte
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