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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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schicken ließ. Natürlich ließen wir es uns nicht nehmen, den Film zusammen in der »Snedder-Lounge« anzuschauen. Als der Film begann und ich in die verdutzten Gesichter derjenigen blickte, die an diesem Tag nicht »Biene Maja« singend durch die Wüste gefahren waren, konnte ich mich vor Lachen kaum halten. Doch es kam noch besser. Der Refrain begann und mein gesamtes Team schmetterte »… und diese Biene, die ich meine, die heißt Maja …« in die Kabuler Nacht. Es fehlte nicht viel und ich hätte mir an diesem Abend eine schwerwiegende Verletzung des Zwerchfells eingehandelt.
    Nach ein paar Raterunden in der Wüste erreichten wir den Distrikt Chahar Asiab südwestlich von Kabul. Eine kleine Stadt, mitten in einer trostlosen und kargen Wüstenlandschaft, lag vor uns. Bei unserer Aufklärung sollten wir besonderes Augenmerk auf die Infrastruktur legen. Wie sah es in den Krankenhäusern aus? Gab es genug Medikamente? Gab es genug Schulen, und wo konnten die CIMICs, die »Civil Military Cooperation« für die zivil-militärische Zusammenarbeit, mit ihren zivilen Aufbauprojekten helfen? Ein größeres Gebäude stach uns gleich ins Auge. Es war ein Hort für gesunde und auch kranke Kinder, ziemlich groß. Unzählige Kinder tobten und wuselten auf einem riesigen Vorplatz herum, so groß wie ein halbes Fußballfeld.
    Als wir anhielten und ausstiegen, prasselte ein ohrenbetäubendes Kindergeschrei auf uns ein und Ärmchen streckten sich uns entgegen. Unsere ISAF-Aufkleber und -Zeitschriften wurden uns buchstäblich aus den Händen gerissen. Zu tumultartigen Auseinandersetzungen kam es dann fast, als wir Kugelschreiber verteilten. Das war die Sensation! Erst später wurde mir klar, wie gut mir diese Abwechslung tat. Glückliche und strahlende Kinderaugen überall um uns herum: Sie freuten sich wie die Schneekönige über jede Kleinigkeit, und war sie noch so banal. Es war der totale Kontrast zu den Aufgaben, die wir sonst zu erledigen hatten. Auch meine niederländischen Freunde genossen diesen Auftrag sichtlich. Von Kindern umringt, kämpften wir uns in Richtung Eingang.
    Drinnen bot sich ein schrecklicher Anblick. Für die kleinen Patienten waren keine Betten vorhanden. Sie lagen auf notdürftig errichteten Lagern am Boden. Alte Kleidung, Stofffetzen, im besten Falle alte Lakenbündel waren aufgehäuft worden, damit die Kinder nicht auf dem nackten Betonboden liegen mussten. Obwohl es ein warmer Tag war, konnte ich ein Frösteln nicht unterdrücken. Wie still es hier war, im Gegensatz zu draußen. Keines der Kinder jammerte oder brüllte gar. Diese klaglose Leidensfähigkeit war mir schon vorher aufgefallen. In meiner gesamten Einsatzzeit habe ich in Krankenhäusern oder bei Unfällen niemals auch nur einen Menschen jammern oder schreien hören. Die Afghanen nahmen die Schicksalsschläge, die so mannigfaltig und kontinuierlich auf sie niederprasselten, mit einer stoischen Ruhe und Gelassenheit hin. Niemand beschwerte sich über sein hartes und schweres Los. Ein völlig unlarmoyantes Volk. Sie packten an, arbeiteten hart und viel. Und bereits die kleinen Kinder verhielten sich so. Wahnsinn!
    Ein afghanischer Arzt führte uns herum und erklärte uns die einzelnen Abteilungen. Wie immer konnten wir natürlich nichts versprechen, würden die Zustände aber an die Stellen für die zivil-militärische Zusammenarbeit weitermelden. In aller Regel hatten diese Stellen schon in anderen Fällen helfen können, zusammen mit Mitarbeitern der Vereinten Nationen. Nach unserem Rundgang und dem Gespräch bedankte der Arzt sich höflich und geleitete uns zum Eingang zurück. Als ich draußen ankam, bot sich mir ein köstliches Bild. Pieter und Jochem, die auf unsere Fahrzeuge aufgepasst hatten, waren von den Kindern komplett vereinnahmt worden. An jedem hingen gleich mehrere Kinder, und Pieter und Jochem hatten offensichtlich einen Heidenspaß. Einige Kameraden hatten selbst Kinder zu Hause, und natürlich vermissten sie den Umgang mit diesen sehr. Umso mehr freuten sie sich über die willkommene Abwechslung. Langsam gingen wir durch die tobende Meute zu unseren Fahrzeugen und schauten uns das Schauspiel noch eine Zeitlang an.
    Plötzlich zuppelte es an meinem Hosenbein, und ich sah einen kleinen afghanischen Jungen mit großen Augen zu mir aufschauen. In diesem Moment fing er schon an zu sprechen, und zwar in tadellosem Deutsch! »Hallo Onkel, kommst du aus Deutschland?« Vollkommen konsterniert konnte ich nichts anderes tun, als auf

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