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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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nächsten Tag bei ihm vorbeischauen. Wenigstens das wurde mir heute erspart. Auf das Ergebnis des Gesprächs – das tatsächlich erst zehn Tage später stattfand – komme ich noch zurück. Als ich auf meinem Feldbett saß und meine Ausrüstung überprüfte, kam endlich »das große Zittern«. Mein Körper meldete sich zu Wort, schüttete vermehrt Adrenalin aus. Ich hatte die ganze Zeit auf diese körperliche Reaktion gewartet, aber erst jetzt, mit etwas Abstand und Ruhe, passierte es. Ich ließ es geschehen. Was sonst hätte ich auch tun können? Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen.
    Ein paar Tage später erreichte uns bei einer Patrouillenfahrt erneut ein Funkspruch. Am Hotel Interconti hatte es einen Zwischenfall, allerdings der zivilen Sorte, gegeben. Erst vor kurzem war der Hotel-Pool repariert und zur Benutzung durch die Gäste freigegeben worden. Allerdings war es so, dass nur wenige Afghanen schwimmen konnten. Wie sollten sie es auch lernen, in diesem von anhaltender Dürre geplagten Land? Bei einem Bad im Pool war nun ein Afghane ertrunken, ein zweiter schwebte in Lebensgefahr, weshalb medizinische Hilfeleistung ins Hotel beordert wurde. Da wir uns in der Nähe befanden, erreichten wir das Hotel knapp nach dem Sanitäts-Transportpanzer, der direkt vom Warehouse kam. Der bewusstlose zweite Schwimmer war bereits geborgen, eine deutsche Oberstabsärztin leitete die ersten Maßnahmen am Unfallort ein. Wir unterstützten sie dabei und übernahmen auch die Sicherung dieser Sanitätskräfte. Die zweite Person lag bereits abgedeckt unter einer Plane am Rande. Für diesen Mann kam jede Hilfe zu spät. Auch der andere war mehr tot als lebendig. Als die Ärztin ihn einigermaßen stabilisiert hatte, sollte er ins Krankenhaus gebracht werden – und zwar so schnell wie möglich. Jede Sekunde Verzögerung schmälere seine Überlebenschance, sagte sie.
    Wir hatten verstanden. Ziemlich rüde machten wir den Weg frei und setzten uns vor den Transportpanzer, kannten wir uns doch hervorragend in Kabul aus. So schnell es der Verkehr zuließ, fuhren wir im Konvoi Richtung Norden zu einem sehr bekannten Krankenhaus, das sich in der Nähe der für ihren Basar bekannten »Chicken Street« befand. Allerdings hatten wir ein kleines Problem: Die Ausmaße unseres Radpanzers waren für diese Straße zu groß. Raphael und ich stiegen aus und versuchten, durch allerlei Gesten und Gebrüll genügend Platz für das sehr breite Fahrzeug zu schaffen, hinter dem nun das Fahrzeug mit dem um das Leben ringenden Afghanen zum Stehen gekommen war. Viele Passanten kümmerte unser Geschrei und Gewinke wenig, sodass wir auch ein-, zweimal handgreiflich werden mussten.
    Mit Ach und Krach kamen wir nun weiter. Wir eckten mit unserem Gefährt zwar mehrmals an geparkten Fahrzeugen an, aber das war uns offen gestanden herzlich egal. Hier ging es schließlich um die Rettung eines Menschenlebens! Endlich erreichten wir das Krankenhaus. Jetzt mussten wir nur noch am Pförtner vorbei. Als hätte ich’s geahnt, stellte der auf stur und verwehrte uns erst einmal den Einlass. Warum sollte auch mal irgendwas auf Anhieb klappen. Er deutete immer wieder auf unsere Waffen, die ihm augenscheinlich nicht gefielen. Ich wusste mir nicht anders zu helfen und gab ihm eine schallende Ohrfeige und schüttelte ihn durch, wurden doch die Rufe, dass wir uns beeilen sollen, immer dringender. Beleidigt verkroch er sich in sein Kabuff, sodass ich das Tor eigenhändig öffnete. Endlich konnten wir durchfahren und unseren Verletzten abliefern. Die Ärztin und unser Medic, also mein Kollege mit medizinischer Spezialausbildung innerhalb des Teams, begleiteten ihn ins Innere. Nun kämpfte ein deutsch-holländisch-afghanisches Ärzteteam weiter. Noch zweimal holten sie den Verletzten kurz zurück ins Leben, doch umsonst: Er starb. Müde und missmutig traten wir den Weg zum Camp Warehouse an. Kein guter Tag für uns.
    Als wir nach diesen aufwühlenden Ereignissen der letzten Tage wieder unsere Nachtpatrouillen aufnahmen, machten wir eine höchst interessante Entdeckung. Im Bereich des Königsgrabes, der Ruhestätte des Vaters von Zaher Schah, befand sich ein riesiges Friedhofsareal, das von sehr vielen kleinen Feldwegen durchzogen wurde. Zum Teil lagen diese Wege sehr tief, sodass man sich wie in einem Canyon vorkam. Stand man auf einem dieser Friedhofswege, ragten links und rechts hohe Wände auf, die teilweise bis zu drei Meter hoch waren. Mir behagte dies überhaupt nicht,

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