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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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wie Patrouillen waren jetzt genau das Richtige. Es ging im Wesentlichen darum, weiter Präsenz zu zeigen und die Stimmung in der Bevölkerung zu sondieren. Bis zu den Massud-Tagen dauerte es zwar noch knapp vier Wochen, aber es war bereits eine Nervosität in der Bevölkerung wie vor der Loya Jirga zu spüren. So fuhren wir durch Kabul und Paghman und saugten alles auf, was wir zu sehen und zu hören bekamen. Die Straßen waren voll. Eine Menge afghanischer Militärfahrzeuge machte sich auf nach Kabul, um bei der Parade zu Ehren des toten tadschikischen Volkshelden dabei zu sein. Die ISAF-Führung betrachtete dies alles mit großer Sorge. Ähnlich war es bei dem Feiertag zum russischen Abzug gewesen. Der Haken bei der Sache war, dass nach Abschluss der Feierlichkeiten nur ein Bruchteil der afghanischen Militärgeräte wieder aus der Stadt verschwand. Man befürchtete, dass es so ähnlich auch im Anschluss der Massud-Tage passieren würde.
    Am 7. August 2002, wir bewegten uns gerade im Distrikt Paghman, erhielten wir einen Funkspruch. Demnach war es im Bagrami-Distrikt, südwestlich von Kabul, zu kriminellen und gewalttätigen Zwischenfällen gekommen. Eine blutrünstige Bande von zwölf Personen sei plündernd von Kabul nach Bagrami gezogen und nun in unsere Richtung unterwegs. Die Schurken hätten auf ihrer Tour Frauen und Kinder bestohlen, verprügelt und misshandelt. Im Distrikt Paghman angekommen, hätten sie sogar die Polizeistation in einem kleinen Dorf angegriffen und zwei Polizisten ermordet. Ein dritter Kollege habe fliehen und einen Funkspruch absetzen können. Demnach zöge die Bande in südlicher Richtung davon – also genau von uns weg. Das gesamte Kommando wurde nun alarmiert und zur Unterstützung angefordert. Unser Team war ja bereits mit acht Mann und zwei Fahrzeugen ganz in der Nähe, also nahmen wir umgehend die Verfolgung auf. Wir fuhren mit Höchstgeschwindigkeit nach Süden, in Richtung der uns mitgeteilten Koordinaten.
    Bei der Verfolgung der Bande kamen wir auch an der überfallenen Polizeistation vorbei, die in einem kleinen Tal lag. Dort herrschte helle Aufregung: Vor dem Polizeigebäude hatten sich die Dorfbewohner versammelt und schrien aufgebracht durcheinander. Durch Handzeichen wurde uns die Fluchtrichtung der zwölf Männer angezeigt, und also fuhren wir gen Süden weiter. Ab jetzt ging es aus Sicherheitsgründen allerdings nur noch in Schrittgeschwindigkeit voran. Schließlich mussten wir bei unserer Verfolgung die ganze Zeit damit rechnen, dass wir plötzlich hinter einer Mauer oder einer Baumreihe auf die zwölf trafen. Aufmerksam beobachtete jeder von uns seinen ihm zugewiesenen Bereich. Die Anspannung war fast greifbar.
    Wir begannen auch, aufmerksam nach Spuren zu suchen, die wir prompt fanden: Schräg links vor uns nahm ich eine Verfärbung des Sandes wahr. Wir hielten an und sahen nach – das war eindeutig Blut! Sie hatten also Verletzte, was uns zusätzlich in die Karten spielte. Die afghanischen Kriminellen waren offensichtlich geschwächt und konnten sich dadurch nur langsam fortbewegen. Wir saßen wieder auf und folgten diesen terrakottafarbenen Spuren im Wüstensand. Unsere Anspannung wurde immer größer, und wir achteten wie die Luchse auf irgendwelche Zeichen. Keine hundert Meter weiter dann der Hammer. »Stop, halt an!«, schrie ich. Philip trat erschrocken in die Eisen, während ich schon seitwärts aus dem Jeep sprang. Vor mir lag ein olivgrünes Päckchen im Sand. Mit zitternden Fingern nahm ich es auf und vergewisserte mich. Ja, kein Zweifel: Es war ein aufgerissenes deutsches Erste-Hilfe-Päckchen. Woher kam das denn? Hatte einer dieser zwölf Afghanen das deutsche Verbandsmaterial benutzt, und wenn ja, woher hatte er es?
    Mir schwirrten allerlei Fragen durch den Kopf. »Komm zurück in den Wagen, Achim!«, hörte ich Andrik in meinem Headset brüllen. Ich sah zu, dass ich zurück in den Jeep kam und von meinem Fund berichtete. Andrik wunderte sich offensichtlich genauso wie ich und fragte: »Bist du dir auch wirklich sicher?« – »Absolut«, gab ich kurzsilbig zurück. Jetzt war definitiv nicht der Moment, um weiter darauf herumzukauen. Denn die Situation spitzte sich dramatisch zu: Immer mehr zurückgelassene Ausrüstungsgegenstände lagen am Wegesrand: Amerikanische Stiefel und daneben wieder eine blasse Blutspur. Einen der Männer musste es ziemlich übel erwischt haben. Sie hatten ihm offensichtlich die Stiefel ausziehen müssen, um ihn zu versorgen.
    In

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