Endstation Kabul
Stock des Stabsgebäudes. Es ging, wie erwartet, um die zwölf toten Afghanen. Der Rechtsberater, ein untersetzter Mann mit Schnauzer und Brille, stellte mir sehr sachlich die eine oder andere Frage und machte sich eifrig Notizen. Mit einer Bewertung hielt er sich komplett zurück. Als ich mit meiner Darstellung der Geschehnisse fertig war, kam noch ein weiteres Problem zur Sprache: das meiner fehlenden Sicherheitsüberprüfung der Stufe 2. Diese sogenannte »Ü2«, von der ich bis dato noch nie etwas gehört hatte, musste man haben, wenn man Erkenntnisse hatte, die unter den Begriff »Geheimhaltung« fielen, wie ich nun erfuhr. Um diese Ü2 zu erhalten, wird man komplett geröntgt. Es müssen zum Beispiel zwei nicht verwandte Referenzpersonen als Leumund angegeben werden, die zum Teil auch befragt werden können. Nach Rücksprache mit meiner Einheit in Deutschland hatte sich herausgestellt, dass ich diese Überprüfung nicht hatte. Nun war guter Rat teuer. Sie konnten ja meine Kenntnisse, die ich durch meine anfängliche Stabsarbeit in der OPZ der KMNB, später als »z. b. V.«-Soldat und schließlich als Kommandosoldat bei den KCT erlangt hatte, schlecht ungeschehen machen.
Die Massud-Tage warfen ihre Schatten voraus. Wir hatten bereits gut zwei Wochen vor der heißen Phase, die vom 5. bis 10. September angesetzt wurde, in den verschiedensten Distrikten unsere Nachtpatrouillen gemacht. Die meisten Kräfte waren durch die bevorstehenden Feierlichkeiten und die erhöhte Gefahr für Zwischenfälle anderweitig gebunden, sodass wir unterstützten, wo wir konnten, um die Präsenz der ISAF-Truppen im Raum Kabul zu halten. Zum Beispiel kontrollierten wir etwaige Veränderungen der Gebäude in unseren Distrikten. Standen irgendwo Fahrzeuge herum, die man vorher niemals dort gesehen hatte? Solche Fragestellungen wurden immer wichtiger, um Gefährdungen anlässlich der Feierlichkeiten auszuschließen.
Um das aus dem Umland in die Stadt transportierte Militärmaterial im Blick zu haben, bezogen wir einen Beobachtungspunkt westlich von Kabul. Wir saßen in der prallen Sonne, und unter uns zog ein endloser Strom von Panzern, gepanzerten Fahrzeugen und Lafetten mit Geschützen vorbei. Eine prima Position, um alles gut zu dokumentieren. Rechts von uns lag eine große ehemalige Kaserne, wo diese martialischen Gerätschaften in Tag- und Nachtschichten gewartet und »aufgehübscht«, sprich: neu gestrichen wurden. Es war ein gigantischer logistischer Aufwand, der hier zur Ehre Ahmed Schah Massuds ein Jahr nach seinem Tod betrieben wurde. Wir sahen diesem Treiben mit gemischten Gefühlen zu. Sollte die Stimmung während der Parade kippen, wäre es völlig egal, dass das Gerät vollkommen veraltet war. Alleine die schiere Masse war entscheidend. Und der könnten wir nichts entgegensetzen.
Bevor wir komplett durch die Massud-Tage gebunden sein würden, wollten wir in unseren vernachlässigten Distrikt nach Paghman fahren. Bei der Morgenbesprechung schlug ein Teamführer eine neue Variante vor: Wie wäre es, mit zwei Trupps, also acht Mann, im Sprungeinsatz mit Freifallschirmen in das Gebiet einzusickern? Ich erwähnte ja bereits, dass dieses Team noch viel »schmerzfreier« war als mein erstes Team von den KCT. Uns allen gefiel der Vorschlag ungemein gut. Mal was völlig Neues! Also machten wir uns an die Planung. Alle in Frage kommenden Kommandosoldaten hatten die entsprechende Berechtigung und genügend Sprünge durchgeführt, sodass es formal schon mal keine Probleme gab. Die nächste Frage war: Wo bekommen wir Freifallschirme her? Wir mussten nicht lange suchen: Die Italiener hatten solche Schirme dabei und wollten uns diese auch zur Verfügung stellen. Wir wurden immer zuversichtlicher, dass wir die Aktion wie geplant durchführen könnten.
Dann kam der erste Dämpfer: Die Absetzhöhe müsste umständehalber sehr gering ausfallen, da unsere Landezone bereits jenseits der 2000 Meter über Normalnull lag. Doch wir ließen uns nicht entmutigen und nahmen diesen Nachteil zunächst in Kauf. Eine niedrige Absetzhöhe bedeutete, dass wir eher von anderen Kräften am Boden gesehen werden konnten, weil der Hubschrauber nicht so hoch mit uns hinauskonnte. Wir umgingen das Problem der besseren Sichtbarkeit unseres Absprungs, indem wir die Aktion für die Nachtstunden planten. Doch dann brachten die Piloten ein Problem zur Sprache, das zu großer Ernüchterung führte. Die Sache mit den Flares. Die in Frage kommenden Hubschrauber hätten
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