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Endstation Mosel

Endstation Mosel

Titel: Endstation Mosel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mischa Martini
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auf den Vorschlag seines Anwalts eingehen, auf Grund der schweren Gehirnerschütterung, die er vor Jahren bei einer spektakulären Festnahme erlitten hatte, auf mildernde Umstände wegen bedingter Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren.
    Beim Aufstehen zog er sich am Vorhang hoch. Wo sollte er diese lächerliche Kostümierung verschwinden lassen? Der dem Beichtvater vorbehaltene Mittelteil war verschlossen. Walde knipste kurz die Taschenlampe an. Das zweite Werkzeug an seinem Schlüsselbund passte. Ähnliche Schlösser befanden sich in Omas Küchenschränken.
    Walde zuckte zusammen, Metall schlug auf Metall, dann noch einmal. Ein Schlüssel wurde gedreht. Eine Türklinke schlug fest an. In Wellen sausten die harten Klänge durch den dunklen Bau.
    Walde schlüpfte in den Mittelteil des Beichtstuhls und zog die Tür zu. Noch bevor die ersten schweren Schritte auf den Kirchenfliesen hallten, hatte sein Dietrich das Schlüsselloch gefunden. Leiser als eine Kirchenmaus nieste, schnappte das Schloss wieder zu.
    Die kleinen Vorhänge vor den fein geschnitzten Fensterchen leuchteten nun ebenso rosa im Schein der Lampen wie die Vorhänge vor den Sünderbänkchen.
    Walde saß sehr bequem. Keine Beine zu lang, keine Sandalen nach draußen, nicht zu kalt. Es geht mir gut, dachte er und versuchte, seine Gedanken abschweifen zu lassen. Noch geht es mir gut.
    Draußen hallten schwere Schuhe über die Fliesen. Zuerst fast im Gleichschritt, dann mal schneller, mal langsamer. Es waren zwei Personen. Keine Nonnen. Wahrscheinlich Wachleute.
    Walde schob einen Zipfel eines der beiden kleinen Vorhänge zur Seite. So hatte es in Waldes Kindheit der Priester getan, um zu schauen, wie viele noch da draußen in den Armesünderbänkchen ihrer Absolution harrten.
    Die beiden Wachleute schritten parallel links und rechts des Hauptschiffes zum Altar. Immer wieder bückten sie sich, um unter die Bänke zu sehen. Ohne einen Kniefall oder ein Kreuzzeichen nur anzudeuten, erklommen sie den Altarraum, umkreisten den Tisch in der Mitte und schritten durch das Chorgestühl bis zur Tür, aus der Walde gekommen war. Vielleicht lauschte die Schwester, die eben noch ihr zaghaftes Hallo gerufen hatte, hinter der Tür und würde, sobald die Wachleute ihren Kontrollgang beendet hatten, sich beruhigt in ihre Zelle zur Nachtruhe begeben.
    Auf dem Rückweg patrouillierten die Wachmänner ganz außen durch die Seitenschiffe. Walde ließ den Vorhang zurückgleiten. Er spürte, wie sich sein Puls beschleunigte. Die Situation hatte ihn gepackt. Es gab kein Entrinnen. Das dumpfe Pochen seines Herzens wurde zu Schlägen, die von seinem Brustraum bis in den Kopf schwangen, in den Ohren pochten, sich auf das Holz übertrugen und schließlich, wie er glaubte, den ganzen Beichtstuhl zum Schwingen brachten.
    Die Schritte kamen näher. Walde filterte sie aus dem Hall und den vielen anderen Geräuschen, die von den dicken Kirchenmauern vervielfältigt zurückgeworfen wurden, heraus. Jetzt war der Wachmann ganz nah. Etwas schlug an das Holz. Walde zuckte zusammen. Dann kam der gleiche Stoß von der anderen Seite. Der Wachmann hatte links und rechts von ihm die langen Vorhänge zur Seite geschlagen. Waldes Puls überschlug sich. Der ganze Beichtstuhl bebte.
    Was war mit seinem Atem? Wie lange hatte er ihn schon angehalten? Die Schritte gingen weiter. Walde nahm einen schier unendlichen Atemzug. Die Schritte stockten. Walde hielt wieder die Luft an. Endlich, die Schritte wurden wieder aufgenommen und entfernten sich.
    Er zuckte ein letztes Mal zusammen, als die großen Türen ins Schloss fielen. Zwei Mal wurde der Schlüssel gedreht, dann war es wieder ruhig.
    »Ego te absolvo«, murmelte Walde.
    Er musste lange warten, bis Harry sich verschlafen am Telefon meldete.
    »Wo bleibst du?«
    »Es dauert noch ein Weilchen, komm’ bitte noch mal morgen früh vorbei«, bat Walde.
    »Das ist doch nicht dein Ernst!«
    »Ich komm’ hier nicht weg.«
    »Hast du ’ne Braut oder was ist los?«
    »Erzähle ich dir morgen«, flüsterte Walde ins Telefon. »Es reicht, wenn du gegen acht wieder da bist.«
    Walde machte es sich so bequem wie möglich. Anfangs fuhr er immer wieder zusammen, wenn im Kirchenschiff eine Bank knarrte oder andere nicht identifizierbare Geräusche durch das düstere Kirchenrund klangen.
    *
    Die Engel hörten auf zu singen, Gott sprach salbungsvolle Worte. Walde tauchte aus einem tiefen Schlaf auf. Er fand nicht bis zur Oberfläche. Erneut sangen die Engel. Er tauchte

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