Endstation Mosel
Geräusche der Putzeimer begleiteten das Hereinbrechen des Morgens hinter den hohen Kirchenfenstern. Es dauerte nicht lange, bis eine der Nonnen die Kirchentür aufstieß und den Eimer nach draußen beförderte. Kurz darauf folgten ihr die anderen.
Walde wartete. Sie kamen nicht zurück. Das Portal blieb offen. Durch die Vorhänge konnte er niemanden in der Kirche erspähen.
Er fingerte den Dietrich aus seinem Schlüsselbund. Ein erneuter heftiger innerer Ansturm unterhalb der Bademantelgürtellinie ließ ihn inne halten. Das Schloss knackte erlösend.
Er wollte kein Risiko mehr eingehen und wartete. Nichts rührte sich. Vorsichtig schob er die Tür auf. Nein, jetzt bloß nicht vorstellen, wie er draußen einen Busch erreichte … diese Phantasie hatte er sich vorhin schon bei den einladenden Putzeimern verkniffen …
Der Beichtstuhl wackelte. Adrenalin schoss Walde mit Wucht durch Arme, Beine und Kopf. Eine brüchige Frauenstimme flüsterte dicht an seinem rechten Ohr: »Gelobt sei Jesus Christus!«
Walde räusperte sich. Er zog die Tür zurück, die Vorhänge bei: »In Ewigkeit Amen.«
Er wagte nicht, den Kopf zu der Nonne zu drehen, die neben ihm kniete.
»Pater, ich habe gesündigt«, sie machte eine Pause. »In Gedanken, Worten und Werken.«
Waldes Blasendruck überwog das Interesse am sündigen Leben der Nonne.
Er versuchte, salbungsvoll zu sprechen: »In nomini patri et filii et«, er überlegte kurz, dann fiel es ihm wieder ein. »Spiriti sancti, ego te absolvo.«
Die Nonne flüsterte etwas Unverständliches.
»Bete fünf Vaterunser«, Walde besann sich, »aber vorher tröste diejenige deiner Schwestern, die es am wenigsten verdient hat.« Wie kam er auf diese verquere Aufgabe? Jedenfalls musste er hier so schnell wie möglich raus.
»Gehe hin in Frieden!«, versuchte er, die Sünderin zu verscheuchen.
Sie antwortete: »Dank sei Gott, dem Herrn.«
»Vergiss deine Buße nicht!«, mahnte er.
Tatsächlich, es rumpelte leicht. Er beobachtete, wie die Nonne sich wenig später in Richtung Altar bewegte und endlich zwischen dem Chorgestühl verschwand.
Er ordnete den Bademantel, zog den Gürtel fest und schob die schwere Brille auf die gleich wieder schmerzende Nase. Er drückte die Tür auf und musste sich mit beiden Händen aus dem Beichtstuhl ziehen. Ein paar Sekunden harrte er auf den Stock gestützt aus, bis er seinen tauben Beinen zutraute, ihn zu halten.
Er wusste nicht, warum er den Weg zum mittleren Gang durch eine Bank nahm. Jedenfalls fiel es ihm so leichter, nieder zu knien und den Kopf so weit nach vorn sinken zu lassen, wie es seine schwere Brille zuließ. Im Chorraum hinter dem Altar hatte sich eine Tür geöffnet. Eine Nonne in weißem Gewand erschien. Walde faltete die Hände zum demütigen Gebet. Er hatte noch die dünnen Handschuhe an. Er streifte sie ab und warf sie hinter sich auf die Sitzbank.
Die Nonne schien ihn zu ignorieren. Sie ging zum Altar, löschte die Kerzen und nahm ein Buch vom Lesungspult, bevor sie sich wieder zurückzog.
Walde hätte nicht länger in der Bank zappeln können. Er eilte durch den Mittelgang zum Portal hinaus. Auf den Kirchenstufen stolperte er, als er Ausschau nach einem Platz für sein dringendstes Bedürfnis hielt. Mit beiden Händen umklammerte er den Stock, der ihn vor einem Sturz bewahrte. Als er sich wieder aufrichtete, fiel sein Blick auf die beiden Männer in dunkler Uniform. Hatten sie hier schon länger rumgelungert oder war es Zufall, dass sie just in dem Moment, wo er sich am Ziel seiner drängendsten Wünsche fühlte, hier vorbeikamen? Er erkannte denjenigen, der in der Nacht seinen Beichtstuhl untersucht hatte. Die beiden musterten ihn eindringlich.
Walde ging den Weg an der hohen Backsteinfassade mit den erleuchteten Fenstern des Krankenhauses entlang. Nur in der unteren Etage brannte kein Licht.
Sollte er einfach das tun, was die meisten Männer taten, wenn ihnen danach war? Erlaubt war das auf diesem Gelände sicher nicht. Die Wachleute würden wahrscheinlich gezwungen sein, einzugreifen, ihn zumindest zu verwarnen und nach Namen, Station und Zimmer zu befragen, ihn vielleicht auch dorthin zu begleiten und das Pflegepersonal zu informieren.
Waldes Unterleib bestand inzwischen nur noch aus einer vollkommen überdehnten, den ganzen restlichen Körper und die nächste Umgebung bedrohenden hochexplosiven Blase. Nur eine Kuh mit einem gewaltigen, seit Tagen nicht mehr gemolkenen Euter konnte ermessen, welche Qualen er
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