Endstation Mosel
wieder ab.
Doris, ganz in Schwarz, wurde von Jo und Marie gestützt. Seine Schwester ging mit ihren Kindern dahinter. Im Trauerzug folgten Kollegen und Freunde, er vermisste viele Gesichter. Wo war Uli, der ihm das Ganze eingebrockt hatte? Wenigstens zu seiner Beerdigung hätte er kommen können.
Schön, dass sie ihn in einen Sarg mit Fenster gebettet hatten. Da war Uli ja, er hatte ihn nicht sehen können, weil er am Grab wartete. Uli half, den Sarg hinunter zu lassen. Doris beugte sich über den Rand der Grube und warf einen Strauß Rosen herunter. Wer war diese alte Dame mit dem dunklen Hut? Wo hatte sie diese riesige Schaufel her? Sie schaufelte dicke Klumpen Erde auf seinen Sarg. He! Stopp! Ich kann nichts mehr sehen! Aufhören! He! Hört mich denn niemand?
Glocken läuteten Sturm. Mit einem Ruck schlugen seine Knie an. Rabenschwärze umgab ihn. Wo war er? Waldes Hände tasteten umher, rundherum Holz. Er saß in einer engen Kiste. Seine Nase fühlte sich an, als werde sie zugedrückt. Er schnappte nach Luft. Sein Herz raste. Panik kam auf. Hier war kein Sauerstoff mehr. Den hatte er längst verbraucht. Deshalb raste sein Puls so, sein Herz würde es bald nicht mehr schaffen. Nach Luft ringend fuchtelte er wie ein Ertrinkender mit den Armen. Seine Hand streifte Stoff. Für einen Moment hielt er inne. »… erhöre uns!«
Die Glocken schwangen aus.
Hinter dem Stoff ertastete er ein Gitter. Er riss den Vorhang zur Seite, dahinter war Licht. Walde presste den Mund an die Öffnung und saugte gierig die kühle Luft ein.
»Wir bitten dich, erhöre uns!«
Er musste raus hier! Walde versuchte, sich zu beruhigen. Er hatte schlecht geträumt. Es war kein Sarg, nur ein Beichtstuhl. Er konnte hier raus. Er hatte den passenden Schlüssel. Nur nicht jetzt, wo das ganze Konvent versammelt war, um den Tag mit einer Andacht zu beginnen.
Seine Blase hatte einen enormen Druck entwickelt. Er schlug mühsam die Beine übereinander. Ein Wunder, dass ihn niemand hatte im Beichtstuhl poltern hören. Er wischte sich die schweißnasse Schläfe. Seine Finger glitten auf den Bügel der Brille. Dieses Glasbausteinmonster hatte seit Stunden seine Nasenflügel eingezwängt. Er nahm es ab. Gleich schienen Kilolasten von ihnen genommen.
»… voll der Gnaden, der Herr ist mit dir …«
Walde konzentrierte sich auf die Gebete. Er kannte sie noch. Bei der dritten Wiederholung war er wieder vollkommen textsicher. Er entwirrte die Beine. Seine Latschen standen dicht nebeneinander. Der Harndruck war so gewaltig, dass er am liebsten auf der Stelle getrippelt wäre.
Notfalls musste er in den Beichtstuhl pinkeln.
Walde war noch nie bei einer Laudes gewesen. Hoffentlich hatte er bereits den größten Teil der Liturgie verschlafen.
Er linste nochmals durch den Vorhang. Am Altar breitete ein Priester die Arme zur leeren Kirche hin aus. Hinter den Kirchenfenstern deutete sich die Dämmerung an. Es war noch vor sechs Uhr.
Walde versuchte, die nächtliche Exkursion durch die Gebäude Revue passieren zu lassen. Das Kloster zog hier nicht die Fäden. Soviel war klar …
Die Blase begann zu pochen. Wie lange konnte er das noch aushalten, einhalten, durchhalten, inne halten, bei sich behalten, an sich halten? Walde kämpfte mit dieser Ablenkung inzwischen um Sekunden. Er schlug die Beine wieder übereinander und presste die heiße Stirn an das Gitter der Tür.
Ein Lied wurde gesungen. Der Bass des Priesters unterlegte die hohen Stimmen des Konvents.
Das Scharren von Füßen schreckte Walde aus seinen Gedanken auf. Er schaute durch den Vorhang. Der Priester war verschwunden.
Das Scheppern von Putzeimern auf dem Steinfußboden erübrigte die Frage, ob sich die Nonnen nun zum gemeinsamen Frühstück zurückzogen.
Waldes Blasendruck hatte etwas nachgelassen. Er lüftete den Vorhang. Im Licht der nun eingeschalteten Deckenlampen wischten in blaue Kutten gekleidete Nonnen den Boden. Immer wieder trugen sie die Zinkeimer ein Stück nach vorn, wobei die Henkel mit einem hellen Plopp an die Eimer schlugen. Walde spürte, wie ein Putzlappen am Sockel des Beichtstuhls entlang strich.
Die Novizinnen, oder waren sie bereits in den Orden aufgenommen?, unterhielten sich in einem gedämpften, aber nie nachlassenden Schwatzton. Es waren zweifellos Inderinnen, die hier in der kalten Eifel am frühen Morgen den Boden wischten. Die Nonnen bewegten sich emsig vom Altar aus durch die Gänge in Richtung des Eingangsportals. Das Quietschen der Metallstiele und die
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