Endstation Nippes
ausgeleiert. Dann nehme ich den Besen. Magst du es mit dem Besen?«
Er hatte einen leichten osteuropäischen Akzent. Das kurzärmlige T-Shirt, das er trug, ließ jede Menge anabolikagedüngte Muckis zur Geltung kommen. Er war um die dreißig, vom Typ her eine Mischung aus Rapper und Security, hatte ein hübsches, verlebtes Gesicht und trug Glitzerohrringe. Und war entweder auf Koks oder auf Speed. Ich tippte eher auf Koks.
Chantal saß aufrecht auf dem Sofa und hielt die Hände vor dem Bauch gefaltet. Ich begriff plötzlich, dass sie in ihr Tan T’ien atmete, das Zentrum des Chi, der Energie. Mary hatte mir diese Atmung einmal beigebracht, als ich einen Breakdown gehabt hatte. Ich hoffte inständig, dass Chantal sich nicht überschätzte und versuchte, mit ihrem bisschen Anfängerinnen-Kung-Fu gegen einen zugekoksten Brutalo mit Pistole anzugehen. Und dass Tinas Kollege und die Leute von der Spurensicherung, wenn ich ihnen gleich nicht aufmachte, dranblieben und nicht weggingen.
»Zieh dich aus«, blaffte der Typ erneut Chantal an.
Sie lächelte plötzlich verführerisch. »Soll ich dir einen blasen?«
Er lachte amüsiert. »Mit dir hab ich was Besseres vor.«
Er fuhr ihr mit der Hand unter das T-Shirt. Ich sprang ihn von hinten an, er schwang herum und rammte mir den Ellenbogen in den Solarplexus. Als ich wieder zu mir kam, stand Hertha vor mir. Ich versuchte, mich hochzurappeln, und bekam einen Tritt an die Schulter. Chantal deutete auf seine Beine. Aber so schnell war ich nicht. Ich konnte mich vor Schmerzen nicht bewegen und kaum noch den Brechreiz beherrschen.
Der Typ stand jetzt mit dem Rücken zu Chantal und fuchtelte mit der Pistole abwechselnd in meine und in Herthas Richtung. »Hinlegen!«, befahl er Hertha.
»Wohin dann?«, fragte sie. »Ich leg mich nit op de Äd.«
»Hinlegen!« Er holte mit der Pistole aus, Hertha duckte sich, und Chantal trat ihm in die Kniekehlen. Er knickte ein, fuhr herum und griff nach Chantals Hals. Sie riss die Arme hoch und schlug ihm mit einem Faustschlag die Pistole aus der Hand. Das brachte ihn sichtbar aus dem Konzept. Er suchte mit dem Blick nach seiner Pistole, und in diesem Moment stürmten Tina, ihr Chef und mindestens zehn weitere Bullen in meine Wohnung. Sie richteten ihre gesammelten Knarren auf den Typen auf dem Boden.
»Hinlegen!«
Er überlegte offenbar kurz, ob er noch eine Chance hatte, dann gab er auf. Meyer zog ihm, nicht gerade sanft, die Arme nach hinten und legte ihm Handschellen an.
»Aufstehen!«
Der Typ hievte sich hoch. Chantal stand vor ihm, Nase, Mund und Kinn mit Blut verkrustet, den blanken Hass in den Augen. Sie hob den Fuß und trat ihm mit aller Kraft in die Eier. Er ging auf sie los, aber zwei von den Polizisten rissen ihn zurück.
»Das reicht«, sagte Tina sanft, aber bestimmt zu Chantal, die gerade erneut den Fuß hob.
»Da bin ich mir nit eso sicher«, murmelte Hertha.
Meyer bestand darauf, dass Chantal und ich uns von einem Arzt untersuchen ließen. Dann fuhr uns ein Streifenwagen ins Präsidium. Hotte war bereits da, nahm Chantal in den Arm und drückte sie an sich.
»Sie hat den Typen außer Gefecht gesetzt!«, verkündete ich stolz wie Oskar.
Meyer führte uns in ein Zimmer, in dem es einen Tisch und mehrere halbwegs bequem aussehende Sessel gab. Vermutlich eine Art Konferenzraum. Eine Polizistin kam mit einem großen Tablett und sagte anerkennend zu Chantal: »Bist du das Kung-Fu-Mädchen?«
»Mhm«, erwiderte Chantal, »kann ich ‘ne Cola haben?«
»Aber klar doch!« Die Polizistin lächelte und schenkte Chantal ein Glas Cola ein. Ich bekam Apfelschorle, Hotte dito. »Bedienen Sie sich bitte«, die Polizistin wies auf das Kuchentablett, »was Besseres gab’s in der Kantine leider nicht. Die andern sind gleich da.«
Als Erste kam Tina herein, lächelte mir zu, blieb vor Chantal stehen und streckte ihr die Hand hin: »Hochachtung!«
Chantal wurde tatsächlich rot. Dann setzte sich Tina und las, mehr Hotte als Chantal, eine Belehrung vor. Hotte nickte. Sein Gesicht war faltiger als je zuvor, die Haare hatten sich zum Teil aus dem Pferdeschwanz gelöst und hingen ihm ins Gesicht, er streifte sie immer wieder nervös hinter die Ohren. Ab und zu griff er nach Chantals Arm und hielt ihn fest. Die Tür ging auf, und Meyer und eine ältere Polizistin kamen herein.
»Nicola Sabatini«, stellte sie sich vor, »Sexualdelikte.«
»Du bist ein sehr kluges und tapferes Mädchen«, sagte Meyer zu Chantal. Die stopfte sich
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