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Endstation Nippes

Titel: Endstation Nippes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Strobl
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mitten auf dem Platz und weinte.
    Ich wandte mich um und musterte den Parkplatz und das angrenzende Gelände. Ein paar Autos, die offenbar die Abwrackprämie verpasst hatten, gammelten vor sich hin. Ganz am Ende, zum Park hin, stand ein blauer Kleinbus mit verdunkelten Scheiben. Das machte mich stutzig. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Bullen hier observierten. Was denn auch? Ich wollte gerade durch die Lücke im Zaun steigen, um das Nummernschild zu lesen. Da stieg mir von links Zigarettenrauch in die Nase. Er kam aus der kleinen Baumgruppe weiter unten. Wäre es der Geruch von Gras gewesen, hätte ich vermutlich gar nicht reagiert, ich wusste, dass die Jugendlichen zum Kiffen hierherkamen. Aber normale Zigaretten? Außerdem roch es nach Kot. Ich wusste instinktiv: Da war etwas im Busch. Im ganz wörtlichen Sinne. Neugierig, wie ich nun mal bin, trat ich näher und spähte zwischen die Äste. Chantal kniete auf dem Boden und beugte sich über Marco. Auf einem Stein lag eine angerauchte Zigarette. Bevor ich nachdenken konnte, drückte ich sie aus. Es hatte seit Tagen nicht geregnet, und das Gras war strohtrocken
    Chantal sah mich erschrocken an, Marco saß da wie schockgefroren. Vollkommene Leere im Blick. Und nun erkannte ich, womit die Kinder beschäftigt waren. Chantal wischte Marcos Po ab, zu ihren Füßen lagen mehrere Blätter Klopapier voller Kot. Ich strich Chantal leicht mit dem Finger über die Schulter und sagte leise: »Kommt raus, wenn ihr fertig seid.«
    Auf dem Weg stand Nele und hielt irritiert nach mir Ausschau. Ich zog sie ein Stück zur Seite und flüsterte ihr ins Ohr, was ich gesehen hatte. Sie biss sich auf die Lippen und kickte wütend eine leere Cola-Dose Richtung Parkplatz. Wir steckten uns beide eine Zigarette an und warteten. Mir fiel ein, dass ich eine Packung Tempotücher in der Tasche hatte. Schob sie zwischen den Büschen durch.
    Nach einer Weile kamen die beiden heraus. Chantal hielt Marco an der Hand, die andere hatte sie zur Faust geballt. Marco, kreidebleich, hielt den Blick starr auf den Boden gerichtet. Auf seiner dunklen Jeans konnte man nichts sehen, nur der Geruch verriet, was passiert war.
    Ich ging vor ihm in die Hocke und sagte: »Ich hab dich lieb, Marco. Die Nele hat dich lieb, der Hotte hat dich lieb, und die Chantal sowieso. Du musst dich nicht schämen. Schämen müssen sich die bösen Männer.« Er riss die Augen auf und wich zurück. Chantal hielt ihn fest und sah mich fragend an.
    Nele hockte sich neben mich. »Wir waren beim Hotte. Grade vorhin. Ihr könnt jetzt bei ihm wohnen, also richtig da wohnen.«
    Chantal schüttelte den Kopf. »Nö, das geht nicht, wegen der Kuh von gegenüber.«
    »Für die liefern wir eine kleine Showeinlage«, meldete ich mich zu Wort. »Und dabei müsst ihr mitmachen, ja?«
    »Was’n für ‘ne Showeinlage?«
    Ich erklärte es ihr. Sie grinste von einem Ohr zum anderen. Marco sah kurz hoch und gleich wieder zu Boden. Ich streckte vorsichtig die Hand nach ihm aus, er zuckte zurück. Ich musste es ihm trotzdem sagen. Schließlich nahm ich all meinen Mut zusammen.
    »Marco«, begann ich leise. »Ich weiß, was mit dir passiert ist.«
    Vollkommene Erstarrung.
    »Ich werde dafür sorgen, dass Frau Grimme und die Männer in den Knast kommen. Und nie wieder rauskommen. Das verspreche ich dir. Und ich kann dieses Versprechen halten. Ich kenne eine Polizistin …«
    Ich merkte, dass er mir nicht zuhörte. Er begann, nach Luft zu ringen. Hyperventilierte. Geriet in heillose Panik. Chantal holte aus und schlug ihn links und rechts ins Gesicht. Ich starrte sie fassungslos an. Nele keuchte: »Ey!« Marcos Schultern fielen herunter, sein Atem beruhigte sich ein wenig. Eine Träne lief ihm über die rechte Wange.
    »Das ist das Einzige, was hilft«, sagte Chantal. »Hey, Hörnchen«, flüsterte sie und strich dem Jungen sanft über die Wange. »Is gut, Hörnchen, is wieder gut.« Sie klang, als würde sie am liebsten selbst in Tränen ausbrechen. Stattdessen sah sie mich erneut fragend an. Ich nickte ihr zu. Sie verstand offenbar, was ich damit ausdrücken wollte: Dass ich ihr das später und allein erzählen würde.
    »Jedenfalls«, nahm ich den Faden wieder auf, »müsst ihr euch jetzt nicht mehr draußen verstecken. Das ist auch zu gefährlich.« Ich sah Chantal intensiv in die Augen. »Lebensgefährlich.«
    Sie nickte. Kluges Mädchen.
    »Das heißt, wir gehen jetzt zum Hotte, und ihr bleibt da erst mal, bis diese Grimme verhaftet ist.

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