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Endstation Nippes

Titel: Endstation Nippes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Strobl
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meine Qigong-Übungen und dann noch die eine Kung-Fu-Kata, die Mary mir beigebracht hatte. Wenn Fräulein Gruber jetzt nicht bald hier auftaucht, kann sie was erleben, schimpfte ich wütend vor mich hin. Dann rief ich mich zur Räson. Dass sie sich so lange Zeit ließ, verhieß nichts Gutes. Möglicherweise waren ihre Vorgesetzten nicht damit einverstanden, dass sie allein mit mir sprach. Und dass sie mich nicht gezwungen hatte, zu sagen, wo Marco steckte. Im Gegensatz zu Tina wussten die Herren ja nicht, dass man mich zu nichts zwingen kann. Gut, dachte ich, dann mache ich jetzt eine Metta-Session für Marco. Ich entzündete ein Räucherstäbchen und ein Teelicht und setzte mich vor meinen Altar. In dem Moment läutete es an der Tür. Ich sprang auf und dachte gerade noch daran, die Kerze auszublasen.
    Tina wirkte irgendwie schüchtern. Wir hatten uns lange nicht mehr gesehen, aber jetzt, wo ich ihr gegenüberstand, spürte ich wieder die Herzlichkeit, die ich damals für sie empfunden hatte. Ich ignorierte ihre ausgestreckte Hand und umarmte sie.
    »Sag wenigstens kurz, ob du einen guten Urlaub hattest!«
    »Ja, danke, ich hab mich super erholt.«
    Sie war braun gebrannt und hatte ein ziemlich entspanntes Gesicht. Aber in ihren Augen lagen Besorgnis und Wut.
    »Zeig mir doch erst mal dieses Notizbuch.«
    Ich führte sie in die Küche. »Ich gehe es holen. Magst du schon mal Wasser aufsetzen?«
    Ich reichte ihr das Büchlein, und in dem Moment wurde mir klar, wie hirnverbrannt blöd ich gewesen war. Aber jetzt war es zu spät. Ich glaube, ich bin sogar rot geworden.
    Tina schnüffelte ostentativ, dann sagte sie, triefend vor Ironie: »Das riecht aber interessant!«
    Sie zog sich Handschuhe an, bevor sie das Notizbuch anfasste. Las konzentriert, während ihr ganzer Körper sich zusehends anspannte. Eine Weile sagte sie gar nichts. Dann fragte sie mit einer leicht kratzigen Stimme: »Sind außer deinen noch andere Fingerabdrücke drauf?«
    »Ja, die von Grimme, nehme ich an.«
    »Nein, ich meine, hat das jemand in der Hand gehabt, nachdem sie es bei dir versteckt hat?«
    Ich verneinte.
    »Wir brauchen deine Fingerabdrücke.«
    Das hatte ich bereits befürchtet. Ich verkniff mir zu sagen: »Die habt ihr schon.« Vielleicht stimmte ja, was sie immer behaupten, und dann wären die längst gelöscht worden.
    »Wir haben keine mehr von dir, falls du darüber gerade nachgrübelst.« Jetzt lächelte sie wieder. Sie stand auf, öffnete das Fenster und legte das Notizbuch auf das Fensterbrett. »Das muss erst mal auslüften. So kann ich das meinem Vorgesetzten nicht unter die Nase halten.«
    Sie setzte sich wieder an den Tisch. »Ich dachte, du wolltest Kaffee machen?«
    Irgendwie war ich heute zu nichts zu gebrauchen. Ich warf den Wasserkocher noch mal an.
    »Sag mal, was wisst ihr eigentlich über diese Kinderleiche?«
    »Wie kommst du denn jetzt darauf?«, fragte Tina irritiert.
    Ich berichtete ihr, was Grimme mir über Tamara erzählt hatte. Mein komisches Gefühl verschwieg ich. Polizeilich gesehen war das sicher kein Argument.
    »Weißt du, wie viele Kinder jede Woche abhauen?«
    »Nein«, erwiderte ich, »aber …«
    »Was, aber?«
    Jetzt schilderte ich ihr doch Grimmes Reaktion auf meine Frage, ob sie Angst hätte, die Leiche könnte Tamara sein.
    Tina guckte genauso skeptisch, wie ich es befürchtet hatte. »Damit würde ich bei meinem Vorgesetzten nicht weit kommen.«
    »Und selber gibst du auch nichts drauf, oder?«
    »Na ja, nicht so wahnsinnig viel.«
    Ich stellte ihr eine Tasse hin und fragte, ob sie Plätzchen wollte.
    Sie winkte ab. »Du musst gleich mit aufs Präsidium kommen, ich brauche deine Aussage. Und zwar in allen Details, Katja. Ich muss dir ja nicht sagen, worum es hier geht.«
    Ich nickte.
    Sie ging zum Fenster und schnupperte an dem Grimme-Büchlein. »Das riecht immer noch! Du hast sie ja wohl nicht alle? Erst denken, dann bunkern, Frau Leichter!«
    Tina kommt aus Chorweiler. Sie hat Lebenserfahrung. Ich guckte beschämt.
    Ich hatte beschlossen, ihr in puncto Hotte die Wahrheit zu sagen, denn ich brauchte ihre Unterstützung, um den Kiddies zu helfen. Also erzählte ich ihr von seinem »Beruf« und von seiner Liebe zu Chantal und auch zu Marco. Berichtete ihr haarklein, was er alles schon für die Kinder getan hatte. Und was das Jugendamt verbaselt hatte. »Kurzum«, schloss ich, »wir müssen es irgendwie hinkriegen, dass die Kinder bei Hotte bleiben können. Trotz seiner Vorstrafen. Und wenn das

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