Endstation Oxford
Craig.
»Aber wir müssen auch unbedingt bei Austin Brande vorbeischauen. Ich habe ihn bei Estelles Hochzeit kennengelernt und würde ihn mir gerne noch einmal näher ansehen.«
»Wie war dein erster Eindruck von ihm?«
»Eigentlich ganz positiv. Er liebt seine Großmutter und ist ihr gegenüber offenbar sehr aufmerksam: Er hat ihr Komplimente gemacht und ihr gesagt, wie gut sie aussieht. Mehr habe ich in den zehn Sekunden, die ich ihn gesehen habe, nicht erfahren können.«
Craig lachte. »Das ist aber gar nicht schlecht, selbst für dich.«
Mein Vater. Im Grunde war nichts Besonderes an ihm – nichts, was ihn zum Opfer gemacht hätte. Er war einfach nur ein ganz normaler Mann, der in einer ganz normalen, ruhigen, baumbestandenen Straße wohnte, in der Autos parkten. Die Häuser lagen ein Stück zurück und versteckten sich hinter wuchernden Gärten vor den Blicken neugieriger Nachbarn.
Er war kein Mann, der tiefe Gefühle besaß, oder sie zeigte, falls es doch so war, aber es gab einen Gegenstand, dem er eine wahrhaft leidenschaftliche Liebe entgegenbrachte: sein Auto. An Sonntagen verbrachte er die Zeit, die andere dem Lob Gottes widmeten, mit dem Waschen und Polieren seines Wagens. Er erlaubte mir nie, ihm dabei zu helfen, denn ich war noch zu jung und hätte dem Schmutz, der sich seit dem letzten Sonntag angesammelt hatte, meine Fingerabdrücke hinzufügen können. Den Sommer hindurch beobachtete ich meinen Vater vom Garten aus bei seinen geheiligten Riten, im Winter stand ich am Fenster, weil die Sicht nicht mehr durch Blätter eingeschränkt wurde.
Sein geliebtes Auto. Er fuhr mit einem weichen Tuch über die Windschutzscheibe, er reckte sich über das Dach und bemühte sich, die schwarzen Flecke zu entfernen, die von der Linde darüber stammten und wie Klebstoff am Lack hafteten. Niemals putzte er heftig. Er war so sanft wie eine Mutter zu ihrem Baby, streichelte jede Rundung, wischte vorsichtig über jeden Schmutzfleck und hinterließ eine saubere, spiegelglatte Oberfläche. Ich sah zu, wie er die Dose mit der Chrompolitur schüttelte und von den Stoßstangen sorgfältig die kompakten Überbleibsel von Fluginsekten beseitigte. Er putzte Front-und Heckscheinwerfer, polierte Nummernschilder und wienerte die Seitenspiegel.
Mein Vater fegte das Wageninnere, nahm die Fußmatten heraus und entfernte Schmutz und welke Blätter, die sich im Fußraum angesammelt hatten. Ich sah, wie er mit einem feuchten Tuch über das Armaturenbrett wischte, das Lenkrad desinfizierte und den Schaltknüppel polierte. Mir widmete er sich nie mit so viel Hingabe, und ich bezweifele, dass er meiner Mutter so viel Liebe entgegenbrachte wie seinem Auto. Sein sonst strenges, ja hartes Gesicht, dessen Linien nie von einem Lächeln gemildert wurden, schien bei der Berührung von schimmerndem Metall und Chrom sanft zu schmelzen. Um seine Augen und seinen Mund lag dann ein Ausdruck, den ich sonst nie bei ihm erlebte. Ich nehme an, es war Liebe – reine, vollkommene Liebe, die keine Bedingungen stellt.
Aber was geschah später an diesem Tag? Was sah ich, als ich die Vorhänge zur Seite schob und in den dunklen Samstagabend hinausspähte? Vielleicht haben Sie es schon erraten. Es war eine Gruppe von Jugendlichen, die das einzige Objekt der Begierde meines Vaters zerstörte. Auf der einen Seite stand dieses Auto, auf der anderen befanden sich fünf junge Männer, die mein Vater sicher als Rowdys bezeichnet hätte. Er hasste lange Haare bei Männern, und beim Anblick von Militärutensilien, die als Modeaccessoire in Secondhandläden verkauft wurden, traf ihn fast der Schlag . Mein Vater differenzierte nicht. In seinen Augen handelte es sich samt und sonders um Hippies und Rowdys.
Wo sie herkamen? Sie hatten ein Auto gestohlen und waren in unserer Straße gelandet. Sie leerten ein paar Flaschen billigen Schnaps und sahen sich anschließend nach etwas Unterhaltung um. Dabei entdeckten sie das frisch polierte Auto meines Vaters, dessen Windschutzscheibe im Licht der Straßenlaterne wie ein Diamant funkelte.
Die Liebe, die mein Vater all die Jahre hindurch seinem Wagen gewidmet hatte, interessierte sie nicht. Für sie zählte nur die Freude an der Zerstörung mit einer Brechstange. Und dann kam mein Vater dazu. Kein Wunder, dass ich jemanden schreien hörte. Nachdem sie getan hatten, was sie offenbar tun mussten, drängten sie sich alle in den gestohlenen Wagen und fuhren davon. Das Auto fand man später auf einem Rastplatz etwa
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