Endstation Oxford
anderthalb Kilometer entfernt. Es war angezündet worden, um alle Spuren zu verwischen.
Die jungen Männer wurden nie gefunden und deshalb auch nicht zur Rechenschaft gezogen.
Der Gedanke, dass solch verabscheuungswürdige Menschen das Werkzeug der Gerechtigkeit sein könnten, ist merkwürdig.
Rowdybanden gelten generell als bösartig. Dem würden Sie doch sicher auch zustimmen, oder? Ich jedoch, das kleine Kind, sah sie als meine Retter und meine Helden. Sie kämpften gegen die Ungerechtigkeit, die den Kleinen, Hilflosen und Unschuldigen widerfährt. Sie behandelten meinen Vater so, wie ich es getan hätte, wäre ich nur stark genug gewesen, um eine Brechstange zu schwingen.
Sicher fragen Sie sich, wo meine Mutter während dieser Zeit war. Nun, sie werkelte in der Küche, und das Summen, Fauchen und Pfeifen ihrer Küchengeräte hinderte sie daran, zu hören, was auf der Straße vor sich ging. Ich glaube, es war ihr ganz recht so. Die Küche war ihr Königreich und der einzige Ort, wo sie Macht besaß und Entscheidungen treffen durfte. Bis heute weiß ich nicht, ob sie ahnte, was draußen vor sich ging, und ob sie für die Erlösung aus ihren Fesseln eine Art Dankbarkeit verspürte. Ich habe sie nie danach gefragt.
Die Schreie, das wilde Gebrüll – sie hörte es nicht. In ihrem Gedächtnis würde nicht das Bild des großen, jungen Mannes eingebrannt sein, der beim Zertrümmern der Windschutzscheibe aufblickte, mit seiner Brechstange ausholte und sie auf den Schädel meines Vaters niedersausen ließ.
Gleich danach war alles vorbei. Die Jugendlichen verschwanden und ließen meinen reglosen Vater in einer Blutlache liegen, die sich immer weiter ausbreitete.
Einen Augenblick lang fühlte ich mich wie losgelöst von allem, ehe mich ein wahres Hochgefühl erfasste. Ich war der Junge, der die Brechstange geschwungen hatte. Endlich war mir die Kraft vergönnt, die ich brauchte. Mein Vater hatte bekommen, was er verdiente, und er war für das, was er mir angetan hatte, bestraft worden.
Sie finden das zu hart? Nicht in den Augen eines Kindes, das kann ich Ihnen versichern. In meinem Kopf war beides ebenbürtig. Die Ungerechtigkeit, die mir durch meinen Vater widerfahren war, beschäftigte mein gesamtes Denken. An etwas anderes konnte ich nicht denken. Er hatte mich geschlagen – sie schlugen ihn. Jetzt war die Welt zur Normalität zurückgekehrt, und mir war Gerechtigkeit zuteilgeworden. Der Ernst dessen, was ich beobachtet hatte, war mir natürlich nicht klar. Ich erwartete, dass sich mein Vater nach einer Weile erheben und reuevoll und gedemütigt ins Haus zurückkehren würde. Als er dies nicht tat, verließ ich meinen Posten und ging in die Küche. »Mama, komm«, sagte ich und zerrte sie in Richtung Eingangstür. Seufzend legte sie die Kartoffel weg, die sie gerade schälte, und folgte mir.
An der Tür blieb ich stehen und sah ihr nach, wie sie durch das Gartentor trat. Ich lauschte. Zunächst geschah nichts. Vielleicht ging es meinem Vater wieder besser, und meine Mutter half ihm auf die Füße. Ich wusste noch nicht, dass der Tod immer von Dauer ist.
Doch dann begann meine Mutter zu schreien. Der Schrei wurde immer schriller, bis ich das Gefühl hatte, er wäre eine Stahlklinge und bohre sich in meinen Schädel. Und er dauerte an, nur dann und wann unterbrochen von einem japsenden Luftholen.
Die Häuser in unserer Straße lagen ein Stück zurück, und niemand hatte den Angriff gesehen. Doch jetzt traten unsere Nachbarn an Fenster und Gartentore, und schon bald rief jemand einen Krankenwagen.
Mein Vater lag fünf Tage im Koma, ehe er starb.
»Wie tapfer du bist«, sagten die Leute, weil ich nicht weinte. »Ein wirklich braves Kind!«
16
»Frances«, sagte Kate, als sie vor dem kleinen Antiquariat standen. »Gerade ist mir wieder eingefallen, dass Ben Akins Schwester Frances heißt.«
Der Laden lag in einer schmalen Seitenstraße etwa hundert Meter abseits der Haupteinkaufsstraßen von Jericho. Die Gebäudefront war schmal, aber drei Stockwerke hoch. Durch die Fenster konnte man erkennen, dass die oberen Etagen mit Regalen und Bücherstapeln vollgestellt waren.
»Ein ziemliches Stück entfernt von den Einkaufsstraßen«, meinte Kate. »Die Laufkundschaft ist hier sicher nicht sehr zahlreich.«
»Wahrscheinlich können sie sich die Miete näher am Zentrum nicht leisten«, überlegte Craig. »Allerdings sehen die Häuser in der Umgebung aus, als wohnten hier jede Menge Intellektuelle. Also potenzielle
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