Endstation Oxford
flüssig hatte. Daher nahm er nur ein paar wertvolle Bücher mit und zahlte ihr den Rest, als er diese verkauft hatte.«
»Man fragt sich wirklich, wie viele Bücher in dieser Sammlung sind.«
»Und was er damit gemacht hat. Wenn der Tolkien tatsächlich aus dieser Sammlung stammte, hat Peter schon jetzt den kompletten Kaufpreis raus. Und wenn es noch mehr Bücher dieser Art gibt, dann sitzt Peter auf einem ganzen Haufen Geld.«
»Könnte das ein Motiv für Estelles Entführung sein? Jemand will sich die Bücher unter den Nagel reißen und hält Estelle so lange fest, bis Peter ihm sagt, wo er sie versteckt hat?«
»Durchaus möglich. Und auch in diesem Fall wäre Austin unser Hauptverdächtiger.«
»Es sei denn, es gibt noch jemanden, den wir bisher übersehen haben.«
»Austin scheint verzweifelt genug zu sein, um als Verdächtiger infrage zu kommen, andererseits war er ehrlich überrascht, dass Estelle am Mittwochmorgen nicht wieder nach London zurückgekehrt ist.«
»Welche Möglichkeiten gibt es noch?«, überlegte Kate. »Er sagt, dass sie die Musterwohnung um halb acht verlassen hat. Um diese Zeit ist es noch dunkel, wird aber allmählich heller. Das Wetter war in der vergangenen Woche grau und trüb.«
»Schon, aber bringt uns das weiter?«
»Ich versuche nur, mich in Estelle zu versetzen. Ich frage mich, ob sie ein Frühstück bekommen hatte.«
»Denkst du, dass ihr so etwas in ihrer Situation wichtig war?«
»Stimmt. Jemand, der so schlank und elegant ist wie Estelle, trinkt zum Frühstück normalerweise höchstens eine Tasse schwarzen Kaffee. Es ist also kalt und frostig. Kaum ist sie draußen, spürt sie, dass sie Hunger hat. Sie geht rasch in Richtung Bahnhof, allerdings trägt sie schon seit Tagen die gleichen Schuhe – vermutlich die mit den Acht-Zentimeter-Absätzen.«
»Ihre Füße schmerzen«, setzte Craig hinzu. »Die Musterwohnung hat nur eine Dusche. Sie wünscht sich nichts sehnlicher als ein heißes, duftendes Schaumbad.«
»Ach wirklich? Ich wusste nicht, dass es in der Musterwohnung keine Badewanne gibt.«
»Ich versuche gerade, mich in ihre Gefühlswelt zu versetzen«, antwortete Craig.
»Okay, das kann ich nachvollziehen. Schmerzende Füße, leichtes Hungergefühl, zerknitterte Kleidung, Haare liegen nicht mehr richtig und Sehnsucht nach einem heißen Bad.«
»Vielleicht denkt sie aber auch nur daran, möglichst schnell den nächsten Zug nach London zu erwischen.«
»Zwischen halb acht und viertel nach acht fahren fünf Züge nach London. Länger als zehn Minuten musste sie also in keinem Fall warten.«
»Überfüllt. Dreckig. Nur Stehplätze.«
»Sie fährt sicher erster Klasse. Stell dir mal vor, jemand fährt mit dem Auto die Walton Street entlang, erkennt sie, wundert sich, dass sie so mitgenommen aussieht, hält an und bietet ihr an, sie mitzunehmen. Angesichts ihres desolaten Zustands lädt er sie zunächst auf eine Tasse Kaffee ein und stellt ihr schließlich freundlicherweise sein Bad zur Verfügung.«
»Könnte sein«, meinte Craig skeptisch.
»Die Alternative wäre, dass sie den Zug nahm und dann entweder in London verschwand oder unterwegs ausgestiegen ist – also in Reading oder Didcot.«
»Ich kann mir kaum vorstellen, dass Estelle ein Besuch von Didcot oder Reading besonders reizen würde.«
»Oh, Reading ist gar nicht so übel. Allerdings gibt es dort noch keinen Harvey Nicks , und ohne Luxuskaufhaus steigt Estelle sicher nicht aus dem Zug.«
»Die Idee, dass ihr jemand eine Fahrgelegenheit zum Bahnhof angeboten haben könnte, gefällt mir immer besser. Eine Dame in verzweifelter Lage und ein edler Ritter auf einem weißen Ross.«
»Das Ross muss ein BMW oder Mercedes gewesen sein«, sinnierte Kate. »Für einen Polo oder einen Fiesta wäre Estelle nie von ihrem ursprünglichen Plan abgewichen.«
»Dann hätten wir jetzt zumindest einen Ausgangspunkt für unsere weitere Suche.«
»Oxford. Die Stadt ist zwar deutlich kleiner als London, aber das hilft uns auch nicht viel weiter.«
»Es ist immer noch möglich, dass Austin uns angelogen hat. Vielleicht hat sie die Wohnung gar nicht um halb acht verlassen, sondern Austin hat sie beseitigt und ihre Leiche irgendwo verscharrt.«
»Hör bloß auf! Schließlich liegt es in seinem Interesse, dass es Estelle gut geht – zumindest, bis er die Bücher hat. Außerdem glaube ich kaum, dass er den Mumm zu einer solchen Tat hätte. Er gibt sich zwar gern als Macho, aber er liebt seine Großmutter, und seine
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