Endstation Oxford
sich in einen Regenmantel, setzte eine Mütze auf, wickelte sich einen Schal um den Hals und griff nach ihrer geräumigsten Handtasche, in der sich alles befand, was man für einen Tagesausflug brauchte. Gemeinsam eilten sie zum Bahnhof.
»In welchem Stadtteil liegt Estelles Büro?«, wollte Craig wissen, als sie am Fahrkartenschalter anstanden.
»Kensington.«
»Hätte ich mir eigentlich denken können. Wo auch sonst?«
»Ich kaufe Tickets, die auch für die U-Bahn gelten. Dann nehmen wir die Circle Line zur Gloucester Road.«
23
Auch in London regnete es, doch es war ein paar Grad wärmer als in Oxford. Als sie die U-Bahn-Station verließen und sich in Richtung Brompton Road wandten, blies ihnen der Wind dicke Regentropfen ins Gesicht.
»Es ist nicht weit«, sagte Kate und bog in eine mit eleganten Häusern gesäumte Straße ab. Nach einer weiteren Abzweigung standen sie schließlich vor einem viergeschossigen, frühviktorianischen Reihenhaus, das hell gestrichen war.
»Estelles Büro liegt in der ersten Etage.« Kate zeigte auf ein großes Schiebefenster. Die Rollläden waren fast ganz heruntergelassen, sodass man nicht hineinschauen konnte.
»Sie scheint wirklich nicht zu geizen«, bemerkte Craig.
»Sie braucht eine vorzeigbare Adresse«, entgegnete Kate, drückte auf eine der vier Klingeln und wartete auf eine Antwort.
Nichts tat sich.
»Genau das, was wir erwartet haben.« Sie nickte.
»Aber wir geben doch jetzt nicht auf, oder?«, meinte Craig, dem der Trip nach London offenbar neuen Schwung gegeben hatte.
»Ganz bestimmt nicht.« Kate zeigte auf eine andere Klingel. »Bei dieser Firma hier bin ich auf dem Weg zu Estelle schon öfter vorbeigekommen. Es handelt sich um einen Büroservice, der an Besucher gewöhnt sein müsste.« Sie drückte auf den Klingelknopf.
Die Gegensprechanlage krächzte.
»Hier ist Kate Ivory. Ich möchte zu Estelle Livingstone«, meldete sich Kate.
»Das Büro ist ein Stockwerk höher. Aber ist schon gut, ich lasse Sie rein.«
Der Summer ertönte. Kate und Craig stießen die Tür auf und betraten das Treppenhaus.
»Danke!«, rief Kate, als sie an der Tür im Erdgeschoss vorüberkamen.
»Gut gemacht«, lobte Craig. »Aber wie kommen wir jetzt in Estelles Büro?«
»Du wirst schon sehen«, versprach Kate und stürmte die Treppe hinauf.
Craig stapfte hinterher. Oben standen sie vor einer vertäfelten Tür, auf der Estelles Name in geschwungenen schwarzen Buchstaben stand.
»Du könntest klingeln«, schlug Craig vor.
Kate tat es, doch nichts geschah. »Es ist sinnlos«, sagte sie.
»Und jetzt?«
»Estelle ist einer der vernünftigsten und ordentlichsten Menschen, die ich kenne. Aber sie legt noch immer einen Schlüssel für die Putzfrau unter die Fußmatte.«
»Lässt sie nicht von einem Reinigungsunternehmen putzen?«
»Nein, denn das ist ihr nicht gründlich genug. Zwar hat sie ihrer Putzfrau einen Schlüssel gegeben, aber die Gute hat ihn verloren. Und jetzt liegt immer einer unter der Fußmatte.«
»Woher weißt du das alles?«
»Irgendwann einmal habe ich sie besucht, und wir haben am Abend das Büro gemeinsam verlassen. Dabei habe ich es gesehen. Komisch, nicht wahr? Für einen so peniblen Menschen ist Estelle erstaunlich nachlässig, was den Umgang mit Schlüsseln angeht. Sie hält es für ein weniger großes Risiko, als wenn überall verlorene Schlüssel herumliegen.«
»Hört sich ziemlich verrückt an. Schauen wir also nach.«
Sie hatten Glück.
Kate drehte den Schlüssel im Schloss und drückte die Klinke. Nichts geschah.
»Merkwürdig«, sagte sie.
»Lass mich mal.« Craig probierte es ebenfalls. Zwei Sekunden später war die Tür offen.
»Wie hast du das gemacht?«
»Die Tür war nicht abgeschlossen. Du hast sie erst verschlossen, als du den Schlüssel gedreht hast.«
»Dann müssen wir also jetzt besonders vorsichtig sein, falls da drinnen jemand auf uns wartet. Hast du vielleicht zufällig eine Waffe bei dir?«
»Natürlich nicht! Ich glaube, du schaust zu viele amerikanische Krimiserien.«
In einer verglasten Kabine gleich am Eingang befand sich der Arbeitsplatz von Estelles Assistentin. Der Schreibtisch war aufgeräumt und sah aus, als wäre er eine ganze Weile nicht benutzt worden. Das eigentliche Büro konnten sie nicht einsehen, doch überall herrschte tiefstes Schweigen.
»Weißt du, wie die Assistentin heißt?«, wollte Craig wissen.
»Fiona.«
»Und der Nachname?«
»Keine Ahnung.«
»Wenn wir sie anrufen könnten, würde
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