Endstation Oxford
konnte, selbst wenn er daran interessiert gewesen wäre.
»Unsere Pies werden an den Tisch gebracht, sobald sie fertig sind«, sagte Peter.
Schweigend saßen sie einander gegenüber, bis das Essen kam. Sie zerschnitten die knusprige Teigkruste, krümelten auf ihre Hemden und genossen die zarte Pastete. Erst jetzt fühlte sich Peter in der Lage, offen mit seinem Bruder zu sprechen. Er legte Messer und Gabel beiseite.
»Erinnerst du dich, wie du mich gebeten hast, dir einen ziemlichen Batzen Geld zu leihen?«
»Es waren doch nur ein paar Tausend.«
» Nur ist gut! Du wolltest zehn, wenn ich mich recht erinnere.«
»Schon gut. Aber wenn ich mich recht entsinne, konntest du nicht einmal zweitausend erübrigen. Reden wir also nicht mehr darüber.« Myles klang gekränkt. »Das hat mir eine Menge Probleme beschert.«
Peter hätte all die anderen »paar Tausend« erwähnen können, die ihm Myles noch immer schuldete, doch er unterließ es. »Tut mir wirklich leid für dich, aber es ging beim besten Willen nicht. Auch die zweitausend, die Mutter haben wollte, konnte ich ihr nicht leihen. Aber irgendwie bin ich immer noch so dämlich, mich für euch verantwortlich zu fühlen, und deshalb habe ich etwas unternommen.«
Myles’ Gesicht leuchtete auf. »Hast du etwa das Geld? Kannst du mir helfen?«
»Du musst dich schon selbst um dich kümmern, Myles. Leider kann ich niemandem helfen, noch nicht einmal mir selbst. Ich dachte, ich wäre auf der Gewinnerseite, aber das war ein Irrtum.«
»Trotzdem könntest du etwas für mich tun.«
»Ich sage dir doch gerade, dass ich kein Geld habe.«
»Schon kapiert. Aber ich wollte dich um etwas bitten, was dich keinen Penny kostet. Ich brauche eine Unterkunft für ein oder zwei Nächte. Könnte ich das Gästezimmer in deinem Cottage benutzen?«
»Zurzeit kann ich keinen Besuch gebrauchen.«
»Ich verschwinde am frühen Morgen und arbeite den ganzen Tag in der Kanzlei. Du wirst gar nicht merken, dass ich da bin.«
»Also gut, aber nur eine Nacht.«
»Danke, Pete. Du bist ein prima Kerl. So, und jetzt berichte von deinem Fiasko. Hat Estelles Abgang damit zu tun? Hast du etwa ihr Konto geplündert hast?«
»Natürlich nicht. Nein, ich habe ein Geschäft an Land gezogen, das sich zunächst richtig gut anließ, aber dann völlig aus dem Ruder gelaufen ist.«
»Nämlich?«
Peter schnitt noch ein Stück von seiner Pastete ab. Ihm fiel ein, wie lange er nichts Vernünftiges mehr gegessen hatte, und so ließ er es sich schmecken. »Diese Fritten sind köstlich«, erklärte er. Langsam kehrte Farbe in sein Gesicht zurück.
»Die nächste Runde geht auf mich«, verkündete Myles.
»Für mich nur ein kleines Bier«, sagte Peter. »Ich muss noch fahren.«
Als das frische Bier vor ihm stand, fuhr er mit seiner Geschichte fort.
»Erinnerst du dich an eine alte Dame, die bei der Hochzeit war?«
»An eine ganze Menge alter Damen sogar. Ich glaube, Estelle hat mehr Tanten als ein Hund Flöhe.«
»Diejenige, die ich meine, war keine wirkliche Tante. Eine kleine, etwas schusselige Lady in einem fliederfarbenen Kostüm mit passendem Hut.«
»Mit solchen Beschreibungen habe ich noch nie etwas anfangen können.«
»Ist ja auch egal. Die alte Dame ist Witwe, irgendwas um die achtzig. Sie ist eine alte Freundin von Matthew Livingstone und wohnt in North Oxford.«
»Na toll.«
»Quatsch. Das Tolle ist, dass ihr Mann, der viele Jahre älter war und schon vor einiger Zeit gestorben ist, ein Büchersammler war. Er hieß übrigens Victor.«
»Er sammelte Bücher? Hast du dich deswegen für sie interessiert?«
»Klar. Vor allem, als sie mir in einem Brief schrieb, dass sie daran denke, einige seiner Bücher zu veräußern. Ich vermutete, dass sie Geld brauchte. Auf Spareinlagen gibt es gerade mal noch ein halbes Prozent, und die Börse befindet sich im freien Fall. Ich hatte keine allzu großen Hoffnungen, was die Sammlung des alten Mannes anging. In Händlerkreisen wurde zwar immer mal wieder über seine Bücher spekuliert, aber das musste nichts bedeuten. Die meisten Leute glaubten, dass er seine Bücher in einem feuchten Keller aufbewahrte, wo sie als Katzenklo und Mäusefutter dienten. Trotzdem habe ich mich entschlossen, sie mir anzusehen.«
»Irgendwie sagt mir mein Gefühl, dass diese Geschichte kein Happy End hat. Sag mir nur, ob es auch etwas Positives zu berichten gibt, ehe wir uns dem traurigen Ende zuwenden.«
»Aber ja. Sehr positiv sogar. Als ich zu ihr nach Hause kam, wurde
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