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Endstation Rußland

Endstation Rußland

Titel: Endstation Rußland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalja Kljutscharjowa
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des Wortes und der Demokratie? Nein, nein, Sie irren, wir leben in einem zivilisierten europäischen Land. Fehlt nur noch die Legalisierung von Marihuana, dann ist alles super!«
    Eine dicke Matrone in der Metro sagt zu einem bettelnden Jungen: »Wieso bettelst du? Du bist doch schon groß! Alt genug zum Stehlen!«
    Der Abgeordnete Alexej Ostrowski sagt: »Das Volk interessiert sich nicht für die Abschaffung der Vergünstigungen. Es interessiert sich nur für den Wetterbericht. Darüber müssen wir uns Gedanken machen, über die Verbesserung des Wetterdienstes, statt über die Monetisierung zu diskutieren.«
    Puschkin sagt: »Der Teufel hat mich geritten, mit meinem Verstand und meinem Talent in Rußland geboren zu werden!«

11
    Jasja zog wie ein Magnet alle möglichen Irren, Verrückten und Perversen an. Sie klebten an ihr wie Fliegen am Honig. Tauchte irgendwo ein Geistesgestörter auf, fand er unfehlbar zu Jasja. Ihr erzählte er von Feuerbällen, die seine Gedanken lesen konnten, oder von Außerirdischen, die Menschen als biologische Schutzanzüge benutzten.
    Jasja bedauerte die Ärmsten und hörte ihnen zu. Und wußte anschließend nicht, wie sie sich vor ihnen retten sollte, denn Verrückte sind bekanntlich aufdringlich.
    Jasjas schillerndster Verrückter trug den Spitznamen Tremor und war Mitglied des Komsomol. Der Komsomolze war bereits vollständig ergraut, wenngleich noch nicht sehr alt. Aus dem Komsomolzenalter allerdings war er längst heraus. Tremor war fünfunddreißig.
    Jasja hatte ihn auf einer antiamerikanischen Kundgebung kennengelernt. Der verrückte Komsomolze verbrannte eine George-Bush-Puppe. Mit einer Miene, als sei er nicht mit der Hinrichtung einer Vogelscheuche, sondern des leibhaftigen Präsidenten der feindlichen Macht beschäftigt. Und Bush zuckte, jammerte und flehte um Gnade.
    Als der Henker Jajsa entdeckte, ließ er den halbverbrannten Bush fallen und stürzte auf sie zu, die Menge kleiner Nationalbolschewiki und roter Greise zerteilend wie der Eisbrecher »Krassin«.
    Bei Jasja angekommen, fiel der Verrückte auf die Knie (er war ausgerutscht) und sagte, an allen Gliedern schlotternd, (daher sein Spitzname):
    »Schwesterchen! Ich habe mein Leben lang auf dich gewartet! Komm mit, ich werde dir alles beichten!«
    Und die barmherzige Jasja ging mit. Seither war ihr unruhiges Leben ganz darauf gerichtet, den Verrückten wieder loszuwerden.
    Tremor folgte ihr auf Schritt und Tritt. Er nächtigte in ihrem Hauseingang, wachte auf der Treppe zur Uni. Wohin Jasja auch ging, er folgte ihr mit einigem Abstand und durchbohrte ihren Rücken mit einem Blick, der nach dem sofortigen Eingreifen eines Psychiaters schrie. Jasjas Freunde bemerkten den Verfolger hin und wieder und äußerten Besorgnis. Jajsa aber winkte unbekümmert ab.
    »Ach, alles in Ordnung, das ist mein Irrer! Er ist lieb!«
    Wenn Jajsa allein war, holte Tremor sie diskret ein, um seinem »Schwesterchen« eine weitere bittere Seite seiner Biographie zu offenbaren. Meist ging es in den Geschichten um Tremors »Kumpel«, die einer wie der andere bereits umgekommen, vielmehr, wie er es treffend ausdrückte, abgekratzt waren.
    Einmal schleppte Tremor Jasja in einer lyrischen Geistesverfassung auf den Friedhof, auf dem alle seine abgekratzten Kumpel lagen. Den ganzen Tag lang führte er sie zwischen den Gräbern herum und schmetterte traurige Lieder aus dem Repertoire von Michail Krug– »alle meine Kumpel sind krepiert, ich allein bin übrig«. Jasja versuchte zu fliehen, aber Tremor hielt sie fest an der Hand.
    Als es dunkel geworden war, machte er am Straßenrand ein Feuer, plazierte Jasja auf einen morschen Balken und erzählte ihr, wie schön es in der Sowjetunion war. Denndamals waren alle seine Kumpel, die von kleinen Raubüberfällen lebten, noch am Leben und tranken jeden Tag zusammen im »Tropf« auf dem Leninprospekt Ecke Straße des 25. Oktober Wodka für 3 Rubel 62 Kopeken.
    Bald jedoch nahmen die Ereignisse eine weniger idyllische Wendung. Tremor beabsichtigte Jasja zu heiraten. Die Hochzeit plante er für den 7. November, unter Transparenten und den roten Samtbannern des Gebietskomitees. Tremor nannte Jasja nicht mehr »Schwesterchen« und nervte sie mit eigenwilligen Bitten, mit denen er die ganze Macht und Tiefe seiner Komsomolzenleidenschaft beweisen wollte.
    »Sag, ich soll von dieser Brücke springen, und ich springe!« verlangte Tremor, die irren blauen Augen weit aufgerissen.
    Jasja wollte nicht, daß Tremor von

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