Endstation Rußland
mit halbem Ohr zugehört hatte, wurde neugierig. Mütterchen schaute sich um, beugte sich über den Tisch und flüsterte leidenschaftlich:
»Tja, und dann haben die mich echt in die Mangel genommen! Grigori Alexandrowitsch, hieß es, Sie haben weitläufige Beziehungen, Bekanntschaften in allen Schichten der Gesellschaft, haben Verkehr mit vielen Menschen … das haben sie gesagt, daß ich mit vielen Verkehr habe! So eine Unverschämtheit!
Jedenfalls, sagen die Gorillas, wir möchten von Ihnen Informationen über Abgeordnete, Regierungsmitglieder, Geschäftsleute, Stars des Showbusiness, so Ihnen solche begegnen … Was für Informationen denn, frage ich, ich bin ein leichtsinniges Mädchen, wenn’s hoch kommt, frage ich nach dem Vornamen, meist nicht mal danach, geschweige denn nach irgendwelchen Staatsgeheimnissen! Sie lachen und sagen: ›Über die Staatsgeheimnisse wissen wir selber Bescheid, wir wollen von Ihnen nur ganz einfache Informationen: Welche Prominenten …‹ – sie stocken, suchen wohl nach dem korrekten Wort, ›schwul‹ finden sie wohl unpassend, und sagen schließlich: ›zu den sexuellen Minderheiten gehören‹.«
»Und, hast du zugesagt?«
»Ich hab die Dumme gespielt. Ich kenne keinen, hab ich gesagt, ich bin bloß ein billiges Mädchen auf der Piste, welcher Abgeordnete kommt da schon hin … Aber sie ließen nicht locker. Eine halbe Stunde hatten sie mich in der Mangel. Ich hab mich von Kopf bis Fuß mit Dreck beworfen, mich schlechtgemacht, aber sie ließen nicht locker, wir haben, sagten sie, ganz andere Informationen über dich … Ich hab gesagt, sie sollen sich an Apollo wenden. Sollen sich die beiden FSB-Gorillas ruhig die alte Hysterikerin vornehmen, mal sehen, ob sie dann mit ihrer fetten Visage immer noch die englische Queen markiert! Nur so bin ich die beiden losgeworden! Ich schreibe nie wieder meine Telefonnummer in eine Annonce!«
»Du glaubst doch nicht, die haben deine Nummer aus einer Annonce ?« fragte Nikita das naive Mütterchen.
Grischa verschluckte sich und schaute ihn entsetzt an. Nikita begriff, daß er das »schwache Weib«, statt es zu beruhigen, endgültig in Panik versetzt hatte, und versuchte zu scherzen:
»Vielleicht hast du sie ihnen ja selber mal gegeben, du hast ja ein schlechtes Namengedächtnis, und diese Kerle können sich gut tarnen, das ist ihr Job …«
»Nein!« Mütterchen weinte fast. »Diese widerlichen Fressen vergesse ich nie! Ich hatte die wirklich noch nie gesehen!«
Dann nahm Grischa sich zusammen und erklärte entschieden:
»Schluß, aus! Der Ball ist vorbei! Und bevor sich der Kür- bis in einen Tampon verwandelt, haut Aschenputtel ab und verliert seine Schuhe! Ich beantrage einen Auslandspaß, in Norwegen sitzt eine alte Liebe von mir, er ist Nachtportier in einem Hotel. Kommst du mit?! Wir bitten um politisches Asyl, als verfolgte Angehörige einer Minderheit? Na?«
Nikita lehnte höflich ab.
17
Die Katastrophe kam wie immer aus heiterem Himmel. Es waren wieder einmal drei herrliche, lustige Tage mit Jasja. Sie hatte (was selten vorkam) ihr Telefon abgeschaltet und nicht den Drang, sich davonzumachen.
Sie gingen jeden Abend spazieren. Kifften im Park, vor den Augen phlegmatischer kinderwagenschiebenderMütter und zielstrebiger Schlittschuhläufer, die ruhelos den zugefrorenen Teich durchpflügten, als hätten sie dort etwas Wichtiges verloren.
»Huste mir nicht in den Schal, sonst fall ich hin!« Eine weiße Straßenlaterne hatte die fröhliche Jasja mit der schräg sitzenden Baskenmütze aus dem Schneesturm gerissen.
Die nächste Laterne war gelb. Sie zeigte Jasja als Jägerin, die einer faulen Krähe nachlief und rief:
»Genosse Vogel! Warum fliegen Sie nicht in den Süden?«
Die Krähe machte zwei Schritte zur Seite und schwieg aufgeblasen, wie ein »ehrenwerter Sir im House of Lords«. Und Jasja antwortete amüsiert an ihrer Stelle:
»Weil ich mir so einen fetten Hintern angefressen hab!«
Die dritte Laterne war kaputt. Jasjas Silhouette orakelte:
»Auf dem Berg stand ein Kloster. Im Kloster lebten Mönche. Ein Mönch lief fort … Schau, da schleicht ein entlaufener Mönch!«
Aus der Dunkelheit näherte sich eine schwarze Gestalt mit einer Kapuze wie aus der Inquisitionszeit.
»Können Sie mir sagen, wo hier das Hotel ›Bergmann‹ ist?« fragte der Flüchtling.
Jasja lachte.
»He, Mönch! Sehen wir etwa aus wie Bergleute?«
Die Kapuze wich erschrocken zurück, und Jasja sagte:
»Das ist noch gar nichts.
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