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Endstation Rußland

Endstation Rußland

Titel: Endstation Rußland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalja Kljutscharjowa
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leichteGehirnerschütterung und ein Schluck Likörwein versetzten Nikita in einen Nirwana-ähnlichen Zustand. Darum erinnerte er sich am nächsten Morgen nur noch an drei Dinge.
    Erste Episode: Rachmaninow sagt zu Jasja:
    »Du bist noch jung und ohne Verstand. Wenn du erst ein Kind geboren hast, ist es vorbei mit den Flausen. Dann vergißt du die ganze Revolution.«
    Jasja haßt das Wort »Flausen«. Sie hat einen Schluck Likörwein im Mund, schnaubt, und Rachmaninow wischt sich mit dem Ärmel das Gesicht ab. Nicht näher bestimmbare Zuschauer applaudieren.
    Zweite Episode: Ein weißes Pferd wird an Zügeln vorbeigeführt. Mit einem infernalischen Grinsen stößt Rachmaninow die erschrockene Reitschul-Elevin von dem Tier weg. Drückt dem Mädchen ein Glas in die Hand und setzt Jasja in den Sattel. Jasja reitet auf dem bleichen Pferd im Dunkeln feierlich um die Patriarchenteiche. Die minderjährige Pferdebesitzerin wird rasch betrunken und schläft neben Nikita ein.
    Dritte Episode: Die starken Schultern des Schriftstellers Rachmaninow, unkontrollierbarer Asphalt, der ständig die Lage wechselt, und Jasjas heißes Flüstern an seinem Ohr:
    »Reiß dich zusammen! Da vorn sind Bullen! Komm auf die Beine!«

    Mit Rachmaninow hat sie ihn anscheinend auch betrogen.

16
    Eines Tages griff jemand auf der Straße, in der Nähe der Metrostation Kitai-Gorod, sanft nach Nikitas Arm.
    »Mein Augenstern! Ich wußte, daß wir beide uns irgendwann wiedersehen würden!« zwitscherte Mütterchen, wobei sie ihren ganzen Körper verbog und sich an Nikita schmiegte. »Herrgott, du guckst wie ein verbohrter Hetero! Hab ich wirklich keine Chance bei dir? Nein? Na schön, komm, trinken wir einen Kaffee zusammen, ich muß dir was Schreckliches erzählen.«
    Nikita glaubte, es ginge bestimmt um Jajsa, und ließ sich in ein Café abschleppen. Doch die schreckliche Geschichte betraf natürlich Mütterchen, die übrigens Grischa hieß.
    »Keine Angst, ich fress dich schon nicht! Ich will nur mit dir reden! Ich bin ein schwaches Weib und furchtbar verängstigt! Und du bist ein starker Mann, du mußt mich beruhigen und mir einen Rat geben!« Grischa rutschte auf seinem Stuhl hin und her und ließ die Augen aus alter Gewohnheit nach allen Seiten flitzen.
    Das Augenspiel hinderte ihn jedoch nicht, seine Geschichte zu erzählen. Aber Grischa war ein temperamentvoller Mensch, darum erfuhr Nikita, bis Grischa auf das Eigentliche zu sprechen kam, unfreiwillig tausend und ein Detail aus dessen Intimleben.
    »Heute Morgen, bevor das alles passiert ist, war ich in der Kirche, ein Liebhaber von mir ist dort Diakon. Wir haben uns also geliebt, ja …«
    »In der Kirche?«
    »Im Nebenraum«, sagte Grischa und schlug bescheiden die Augen nieder. »Aber erzähl das bloß niemandem, aufPersonen vom geistlichen Stand ist mein Väterchen besonders eifersüchtig, einmal hätte er mich beinahe erstochen, als er mich mit einem Kirchendiener erwischte. Wenn ich es mit einem Weltlichen treibe, ist es nicht so schlimm, da drückt er ein Auge zu, er sagt, das ist kein Fremdgehen, das ist eine läßliche Sünde, und die vergibt er mir immer gleich …«
    Nikita wollte weglaufen, doch Mütterchen packte ihn mit eisernem Griff und setzte ihn wieder hin.
    »Nicht böse sein, Häschen, gleich kommt das Wichtigste. Es gibt da so eine Internetseite, wo wir « – Mütterchen hob vielsagend die geschminkten Lider – , »wo wir Nachrichten hinterlassen, wenn wir jemanden kennenlernen wollen. Vor kurzem hab ich mich da eingetragen, mich in höchsten Tönen angepriesen und meine Telefonnummer angegeben. Und gestern kommt ein Anruf, eine angenehme Männerstimme. Ich habe, sagt er, Ihre Annonce gelesen, ich will Sie kennenlernen, ich erwarte Sie da und da in einem gelben Lada. Ich sage natürlich zu, mache mich schön und nichts wie hin. Als ich ankomme, steht da ein gelber Lada, sitzen zwei Kerle drin. Na, denke ich, je mehr, desto besser, und steige ein. Da drücken die auf einen Knopf, und die Türen sind verriegelt. Das waren richtige Gorillas, sie sahen absolut nicht nach Zärtlichkeiten aus. Ich frage erschrocken: ›Wollt ihr mich vergewaltigen?‹ Darauf sie, ganz höflich: ›Wir wollen tatsächlich etwas von Ihnen, Grigori Alexandrowitsch (ich war platt, so hat mich nie jemand genannt!), aber absolut nichts Sexuelles.‹ Und halten mir ihre Ausweise hin. Ich lese, und mir fallen vor Schreck fast die Augen aus. ›Föderaler Sicherheitsdienst‹!«
    Nikita, der bisher nur

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