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Endstation Rußland

Endstation Rußland

Titel: Endstation Rußland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalja Kljutscharjowa
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die Kirche oder die Schule. Priester kann ich nicht werden, weil ich nicht religiös bin, aber Lehrer schon. Man muß diese alles verschlingende Entropie im Keim abfangen, dann gibt es noch eine Chance. Außerdem wurde das Gesetz geändert, mir droht die Einberufung, aber zur Armee will ich nicht, dort ist zu viel Schmutz.« Junker stockte plötzlich, atmete tief ein und sagte, ohne Nikita anzusehen: »Ich habe beschlossen, nach Gorki zu gehen, die haben doch da eine Schule …«
    Zurück gingen sie schweigend. Aber froh gestimmt. Vor dem Haus stand ein Milizauto. Der brave Abschnittsbeamte führte Nikitas unglückseligen Nachbarn aus dem Haus. Mit einer Hand stützte er seinen Schützling, in der anderen hielt er dessen Bündel. Die Männer schimpften auf das »gemeine Weibergeschlecht« und beabsichtigen, einen auf den 8. März zu heben. In der Hand zerquetschte der Mann noch immer seinen Mimosenzweig.

    Später rief Nikita mehrfach in Gorki an, im Kolchosbüro, wo das einzige Telefon stand, und sprach mit Grischa, der ihm sämtliche Neuigkeiten erzählte.
    Den Winter hatten sie gut überstanden. Vater Andrej hatte mehrmals Geld aus der Kirchenkasse nehmen müssen, um die unaufschiebbaren Schulden des Kolchos zu bezahlen. Zum Beispiel an den Stromversorger, diese Ausgeburten der Hölle , die damit drohten, andernfalls den Strom in der Schule abzuschalten.
    Taïssija Iossifowna war gesund und ließ sich aus der Stadt Samen irgendwelcher exotischer südlicher Blumen schicken, um sie in den verlassenen Gärten auszusäen.
    Wanja hatte seinen Roman fertig und war sauer auf Nikita, weil der ihn nicht besuchte. Er hatte sich angewöhnt, durch die Lücke zwischen den beiden ausgefallenen Vorderzähnen zu spucken.
    »Er wird ein richtiger Rowdy«, klagte Grischa im unverfälschten Tonfall des Klatschweibs vom Lande.
    »Und Junker?« fragte Nikita, in den Hörer lächelnd.
    »Serjoga? Ach, der lebt ganz für sich, redet mit keinem, läuft dauernd durch die Wälder. Er sagt … warte, ich hol den Zettel, ich hab’s mir extra für dich aufgeschrieben, klingt ziemlich kompliziert. Er sagt, er sei ›in einen endlosen prätextuellen Dialog mit der Welt getreten‹. Da wird einem doch angst und bange!«

25
    Vor dem Eingang zur Metrostation Kitai-Gorod drängte sich eine unglaubliche Menschenmenge. Die Eingeweide der Untergrundbahn erschütterte ein Sturm menschlicher Leidenschaften. Seinen Ursprung hatte der Skandal vor den Drehkreuzen, von wo aus er sich in Wellen über den grauen Leib der Menge ausbreitete. Bis zu den letzten Reihen, in die sich Nikita vorgekämpft hatte, gelangten nur einzelne Spritzer.
    »Ich bin an der Front gewesen! Und du, warst du an der Front? Laß mich durch!« schrie eine alte Stimme.
    »Ich darf nicht!« kreischte eine durchdringende Frauenstimme.
    Die Türen verdauten eine Portion Fahrgäste und schlugen zu. Der auf die Straße gedrängte Schwanz der Schlange versank in vormorgendlicher Stille. Ein Tropfen fiel vom Himmel auf Nikitas Nase und rollte ihm kitzelnd die Wange hinunter und in den Kragen.
    Die Türen öffneten sich erneut, und aus der Tiefe der Erde drang ein verzweifelter Schrei:
    »Schämen Sie sich nicht?«
    »Was ist da los?« fragte Nikita den Mann neben ihm.
    »Siehst du nicht fern?« schnaubte ein Mann mit einer nassen Hundsfellmütze wütend.
    Nikita besaß keinen Fernseher.
    »Die Vergünstigungen wurden abgeschafft, jetzt müssen auch Rentner Fahrkarten kaufen, aber sie wissen nicht, wovon«, erklärte eine gesprächige Dame mit einer Riesenbrille, die an eine Turtle-Schildkröte erinnerte. »Wir stehen hier und warten, wer gewinnt, die Alten oder die Metro-Angestellten. Ob das jetzt jeden Tag so weitergeht?«
    »O nein«, versicherte der Pessimist mit der Hundsfellmütze. »Es wird noch schlimmer! Rußland stehen schreckliche Zeiten bevor! Denken Sie an meine Worte!«
    Die Frau verstummte erschrocken, kniff beleidigt die Lippen zusammen und rückte von dem Hundepropheten ab.
    Mit einiger Anstrengung sog die Metro sie ein. Das Gezänk vor dem Drehkreuz steigerte sich fast zur Hysterie.
    »Gut, ich bezahle!« echauffierte sich ein Alter mit einer Tasche auf Rädern. »Ich geb dir die beschissenen zehn Rubel, daß du dran erstickst! Und dann geh ich und leg mich auf die Gleise!«
    »Ich leg mich gleich selber auf die Gleise!« schluchzte die Frau in Uniform, die mit ihrer quadratischen Brust den Zugang zur Metro versperrte. »Verstehen Sie doch, nicht ichlasse Sie hier nicht

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