Endstation Venedig
in dem Teil der Stadt nie viel Probleme mit Drogen gegeben. Ich kenne Noe, den Müllmann, und er hat sich nie beklagt, daß er morgens Spritzen auf der Straße gefunden hat, nicht wie in San Maurizio , sagte er. San Maurizio war ein für Drogen berüchtigter Stadtteil.
Was ist mit Rossi? Hat er etwas in Erfahrung gebracht?
Weitgehend dasselbe, Commissario. Die Gegend ist eigentlich ruhig. Gelegentlich gibt es mal einen Raub oder einen Einbruch, aber mit Drogen war da nie viel los, und Gewalt hat es nie gegeben , sagte er und fügte hinzu:
Vor diesem Fall.
Und die Leute in den umliegenden Häusern? Haben sie etwas gehört oder gesehen?
Nein, Commissario. Wir haben mit allen gesprochen, die heute morgen auf dem Campo waren, aber niemand hat etwas Verdächtiges gehört oder gesehen. Dasselbe gilt für die Leute in den Häusern.
Er ahnte Brunettis nächste Frage.
Puccetti sagt das-
selbe, Commissario.
Wo ist Rossi?
Ohne das geringste Zögern antwortete Vianello: Er ist einen
Kaffee trinken gegangen. Müßte eigentlich gleich zurück sein, wenn Sie mit ihm sprechen wollen.
Was ist mit den Tauchern?
Sie waren über eine Stunde im Wasser. Aber sie haben nichts zutage gefördert, was man als Waffe bezeichnen könnte. Den üblichen Mist: Flaschen, Tassen, sogar einen Kühlschrank und einen Schraubenzieher, aber nichts, das auch nur annähernd eine Waffe sein könnte.
Und Bonsuan? Hat einer mit ihm über die Gezeiten gesprochen?
Nein, Commissario. Noch nicht. Wir haben noch keine Todes-zeit.
Gegen Mitternacht , erklärte Brunetti.
Vianello schlug ein Dienstbuch auf, das auf seinem Schreibtisch lag, und fuhr mit dickem Finger über die Reihen mit Namen.
Er
ist gerade mit einem Boot zum Bahnhof unterwegs. Bringt zwei Ge-fangene zum Zug nach Mailand. Soll er zu Ihnen ins Büro kommen, wenn er zurück ist?
Brunetti nickte und wurde dann durch Rossis Rückkehr unter-brochen. Sein Bericht war nicht viel anders als Vianellos: Niemand auf dem Campo oder in den Häusern ringsum hatte an dem Morgen etwas Ungewöhnliches gesehen oder gehört.
In jeder anderen italienischen Stadt wäre die Tatsache, daß niemand etwas gesehen oder gehört hatte, nichts weiter als ein Beweis für das Mißtrauen der Leute gegenüber der Polizei und ihrer allgemeinen Unlust, ihr zu helfen. Hier jedoch, wo die Bürger im allgemeinen gesetzestreu und die meisten Polizisten selbst Venezianer waren, hieß es nichts anderes, als daß sie nichts gehört oder gesehen hatten. Wenn es in der Gegend irgendwelche ernsthaften Verbindungen zu Drogen gab, würden sie es früher oder später erfahren.
Jemand würde einen Vetter oder einen Freund oder eine Schwiegermutter haben, der oder die mit einem Freund telefonieren würde, der zufällig einen Vetter, einen Freund oder eine Schwiegermutter bei der Polizei hatte, und so würde die Kunde zu ihm gelangen. Bis dahin würde er es als gegeben hinnehmen müssen, daß es in jenem Teil der Stadt wenig Beziehungen zu Drogen gab, daß es nicht der Ort war, wo jemand hingehen würde, um Drogen zu nehmen oder zu kaufen, schon gar kein Ausländer. All das schien auszuschließen, daß Drogen bei diesem Verbrechen im Spiel waren, jedenfalls wenn es irgendwie mit dieser Gegend zusammenhing.
Schickt Bonsuan bitte zu mir hoch, wenn er zurückkommt , ordnete Brunetti an und ging wieder in sein Büro, wobei er mit Bedacht das Treppenhaus im hinteren Teil des Gebäudes benutzte, um Pattas Büro weiträumig zu umgehen. Je länger er es vermeiden konnte, mit seinem Vorgesetzten zu reden, desto besser.
In seinem Büro fiel ihm endlich ein, Paola anzurufen. Er hatte vergessen, ihr zu sagen, daß er zum Mittagessen nicht zu Hause sein würde, aber es war schon Jahre her, daß sie darüber beunruhigt oder überrascht gewesen war. Statt sich mit ihm zu unterhalten, las sie dann beim Essen ein Buch, es sei denn, die Kinder waren da.
Genaugenommen hatte er allmählich den Verdacht, daß sie solche ruhigen Mittagspausen genoß, allein mit ihren Autoren, über die sie an der Universität lehrte; denn sie hatte nie etwas dagegen, wenn er sich verspätete oder gar nicht kommen konnte.
Sie nahm beim dritten Klingeln ab.
Pronto.
Ciao, Paola. Ich bin’s.
Dachte ich mir schon. Wie läuft es so?
Sie stellte nie direkte
Fragen nach seiner Arbeit oder warum er nicht zum Essen kommen konnte. Das lag nicht daran, daß sie kein Interesse daran hatte, sie fand es nur besser, zu warten, bis er von selbst darüber redete.
Irgendwann
Weitere Kostenlose Bücher