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Endstation Wirklichkeit

Endstation Wirklichkeit

Titel: Endstation Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Klemann
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Nachdenklichkeit. „Ich habe eben nur darüber nachgedacht, dass ich meinen Eltern gerne von meinem Job bei Universal erzählen würde. Ich meine, nicht am Telefon. Ich würde sie gerne besuchen. Ich habe sie schon so lange nicht mehr gesehen.“
    Mike sah ihn überrascht an. „Das kann ich gut verstehen. Wo ist das Problem? Es ist doch verständlich, dass du es deinen Eltern erzählen möchtest. Und dass du sie gerne wiedersehen willst, ist doch auch ganz natürlich. Worüber grübelst du so lange nach?“
    David seufzte. „Ach, Mike, natürlich würde ich sie gerne wiedersehen. Aber ich will dich nicht allein lassen. Und außerdem glaube ich, dass es mir eigentlich um etwas ganz anderes geht.“ Er machte abermals eine Pause.
    „Um was denn?“, fragte Mike voller Neugierde.
    David zuckte mit den Schultern und suchte nach einer Antwort. Nein, eigentlich wusste er sie. Vielmehr suchte er nach den richtigen Worten. „Weißt du, ich denke, ich will eigentlich vielmehr, dass sie dich kennenlernen, dass sie sehen, wie glücklich wir sind. Ich denke, meine Mutter braucht das. Sie macht sich immer so viele Sorgen. Und mir wäre das wichtig. Ich will ihr zeigen, dass ich glücklich bin, dass ich nicht leide, weil ich diese ,Krankheit Homosexualität‘ habe … Aber erstens habe ich ein wenig Angst vor der Reaktion meiner Eltern, besonders vor der meines Vaters, und zweitens weiß ich nicht, ob dir das überhaupt recht ist, ob du überhaupt mitkommen würdest.“
    Mike nahm David augenblicklich in den Arm und drückte ihn fest an sich. Er wollte damit David das ungute Gefühl der Angst und des Zweifels nehmen. „Natürlich würde ich gerne mitkommen. Ich bin glücklich, dass du mich mitnehmen willst. Und du wirst sehen: Deine Eltern werden sich bestimmt darüber freuen, dich wieder zu treffen und zu wissen, dass es dir gut geht!“

2
     
    Z um ersten Mal an diesem Morgen wurde ihm bewusst, warum er heute so litt und woher das Leiden kam. Eigentlich hatte er bisher nie darüber nachgedacht. Er hatte die Schmerzen in seinem Herzen und in seiner Seele wie selbstverständlich zur Kenntnis genommen.
    Doch im kalten Regen und unter dem bewölkten Himmel erkannte David den wahren Grund. Das erste Zusammensein mit Mike und dem Gefühl des unbeschreiblichen Glücks über ihre neu gefundene Liebe war der Anfang gewesen. Der Abend, an dem sie beschlossen hatten, seine Eltern zu besuchen, hatte wie eine endgültige Manifestierung ihrer Beziehung und damit seines „neuen Lebens“ gewirkt. Damals hatte ihn nichts auf der Welt aufhalten können. Die Liebe zu Mike hatte ihm die Kraft gegeben, sich allem zu stellen und jedes Problem zu lösen.
    David schluckte und starrte in die Ferne. Endlich begriff er die aussichtslose Situation, warum er dem Kampf seiner Emotionen ein jähes Ende bereiten wollte: Er liebte Mike über alles auf der Welt. Er tat es damals, und er tat es noch immer!
     
    ***
     
    „Wie fühlst du dich? Ist alles klar bei dir?“
    David beobachtete seinen Freund aus den Augenwinkeln und stellte fest, dass er etwas nervös zu sein schien – so wie er selbst.
    Die Fahrt mit dem Bus war im Grunde recht schnell vergangen, und jetzt waren sie kurz vor ihrem Ziel. David war sich noch nicht recht im Klaren, was er im Augenblick empfand. Er hatte sich seit Tagen auf die Reise und das Wiedersehen mit seinen Eltern gefreut, war gespannt, was dieser Ausflug bringen würde. Trotz aller Spannungen, die zwischen ihm und insbesondere seinem Vater herrschten, vermisste er seine Eltern. Er hatte bis zu jenem Tag, als sein Vater den Brief gelesen und von seiner Homosexualität erfahren hatte, immer ein gutes Verhältnis zu ihnen gehabt. Sicher, es war nicht immer einfach gewesen, aber auch nicht viel anders als bei anderen gleichaltrigen jungen Männern.
    Natürlich hatte es auch schon zuvor Auseinandersetzungen zwischen ihnen gegeben, gerade zwischen seinem Vater und ihm, aber alles in allem konnte er sich über seine Eltern und das Verhältnis zu ihnen nicht beklagen.
    Sein Dad besaß seit ewigen Jahren ein eigenes Geschäft in Glennville. Es war die einzige Einkaufsmöglichkeit im Ort, und die Leute kauften bei ihm alles, von frischer Milch bis hin zu Ersatzteilen für ihre landwirtschaftlichen Maschinen. David erinnerte sich noch genau daran, wie er schon als kleiner Junge gern im Laden herumgestöbert und sich interessiert die Waren angesehen hatte. Am meisten hatte es ihm die Kasse auf dem Ladentisch angetan. Er hatte es

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