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Endstation

Endstation

Titel: Endstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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Patienten dafür aus. Die Psychiater in dieser Kommission lehnten Mister L. als Kandidaten strikt ab, da er psychotisch war. Er glaubte, die Sonne regiere die Erde, und weigerte sich, am Tag ins Freie zu gehen. Sie hielten ihn für so hoffnungslos labil, daß er von der Nierenoperation kaum profitieren würde, aber schließlich wurde der Nierenaustausch doch vorgenommen. Sechs Monate später beging L. Selbstmord. Das war eine Tragödie damals. Aber die eigentliche Frage gilt noch heute, nämlich die, ob nicht ein anderer von den Tausenden von Dollar und den vielen Arbeitsstunden mehr gehabt hätte als dieser Mister L.«
    Ellis ging auf und ab und schleppte dabei sein krankes Bein leicht über den Boden. Janet Ross wußte, was das bedeutete: Er fühlte sich bedroht und angegriffen. Normalerweise achtete Ellis darauf, so zu gehen, daß nur ein geübtes Auge sein Hinken bemerkte. Aber wenn er müde und zornig oder in die Enge getrieben war, machte sich der Gehfehler deutlich bemerkbar. Es schien fast, als würde er unbewußt um Mitgefühl flehen: Greift mich nicht an, ich bin ein Krüppel. Natürlich war er sich dessen nicht bewußt.
    »Ich verstehe Ihren Einspruch«, sagte Ellis. »Ihre Argumentation ist so, wie Sie sie vortragen, nicht zu widerlegen. Aber ich möchte das Problem von einer etwas anderen Seite betrachten. Es stimmt durchaus, daß Bensons Persönlichkeit gestört ist und daß unsere Operation daran wahrscheinlich nichts ändern wird. Aber was geschieht, wenn wir ihn nicht operieren? Tun wir ihm einen Gefallen? Ich glaube nicht. Wir wissen, daß seine Anfälle lebensbedrohend sind - für sich und für andere. Die Anfälle haben ihn bereits mit dem Gesetz in Konflikt gebracht, und sie werden immer schlimmer. Die Operation wird weitere Anfälle verhindern, und das allein ist für den Patienten schon von Vorteil.«
    Hoch droben zuckte Manon nur die Achseln. Janet Ross kannte diese Geste - sie drückte Widerspruch aus, einen unver söhnlichen Gegensatz.
    »Noch weitere Fragen?«
    Niemand meldete sich mehr.

3
    »Verdammte Scheiße«, sagte Ellis und wischte sich über die Stirn. »Er wollte und wollte nicht nachgeben.«
    Janet Ross begleitete ihn quer über den Parkplatz, hinüber zur Langer-Forschungsabteilung.
    Es war Spätnachmittag, und die Sonne schien fahlgelb vom Himmel.
    »Er hatte recht«, sagte sie freundlich.
    Ellis seufzte. »Ich vergesse immer wieder, daß Sie auf seiner Seite stehen.«
    »Warum vergessen Sie das?«fragte sie und lächelte dabei. Als Psychiaterin im Stab der Neuropsychiatrischen Abteilung hatte sie sich vom Anfang an der Operation widersetzt.
    »Hören Sie«, sagte Ellis, »wir tun doch, was wir können.
    Es wäre großartig, wenn wir ihn vollkommen heilen könnten. Aber das ist nicht möglich. Wir können sein Leiden nur lindern, und genau das tun wir.«
    Sie ging schweigend neben ihm her. Darauf gab es nichts zu sagen. Sie hatte Ellis ihre Meinung schon zu oft mitgeteilt. Es konnte sein, daß die Operation nicht nur nicht half, sondern Bensons Zustand sogar noch verschlimmerte. Sie war sicher, daß Ellis sich auch über diese Möglichkeit im klaren war, sie jedoch starrköpfig ignorierte.
    Das glaubte sie zumindest.
    Im Grunde mochte sie Ellis genauso leiden wie jeden anderen Arzt. In ihren Augen waren Chirurgen ausgesprochen handlungsorientierte Männer, die verzweifelt darauf aus waren, etwas zu tun, irgendwie tätig zu werden (daß es sich fast durchweg um Männer handelte, war für sie auch bedeutsam): In diesem Sinne war Ellis immer noch besser als die meisten anderen. Er hatte klugerweise vor Benson mehrere Kandidaten im dritten Stadium abgewiesen, und sie wußte genau, wie schwer ihm das gefallen war, ihm, der danach lechzte, die neue Operationsmethode zu erproben.
    »Das alles hängt mir zum Hals heraus», sagte Ellis.
    »Was?«
    »Die politischen Bedenken. Das ist eben das Schöne an der Arbeit mit Affen: Da spielt keine Politik mit.«
    »Aber Sie wollen doch Benson operieren.«
    »Ich bin dazu bereit«, sagte Ellis. »Wir alle sind bereit. Wir müssen diesen ersten großen Schritt irgendwann tun, und jetzt ist der Zeitpunkt dafür gekommen.« Er sah sie an. »Glauben Sie nicht?«
    »Ich bin mir nicht sicher«, sagte sie.
    Sie erreichten das Langer-Gebäude. Ellis war mit McPherson zum Essen verabredet - ›ein politisches Essen‹, wie er verärgert sagte -, und sie fuhr mit dem Aufzug zum vierten Stock hinauf.
    Die Neuropsychiatrische Forschungsabteilung war zehn

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