Endstation
ein Gefühl, das ihn, solange er in der Neuro-Psychiatrie arbeitete, erst ein-oder zweimal befallen hatte: Ihm war so, als liefe alles zu schnell, als blieben bei dem, was sie taten, die Vorsichts-und Kontrollmaßnahmen viel zu gering. Er ahnte die Gefahr, daß alles plötzlich und unvermittelt außer Kontrolle geraten könnte.
6
Um 18 Uhr begab sich Roger McPherson, Chef der Neuropsychiatrischen Forschungsabteilung, hinauf in den siebenten Stock, um nach seinem Patienten zu sehen. Für ihn war Benson sein Patient. Dieser Besitzerstolz war nicht ganz ungerechtfertigt. Ohne McPherson gäbe es keine NPFA, und ohne diese Abteilung keine Hirnoperationen, keinen Patienten Benson. Das war doch ganz logisch.
Das Zimmer 710 lag still in den rötlichen Schein der Abendsonne getaucht. Benson schien geschlafen zu haben, schlug aber die Augen auf, als McPherson hinter sich die Tür schloß.
»Wie geht es Ihnen?« fragte McPherson und trat dicht ans Bett.
Benson lächelte. »Das fragt mich jeder.«
McPherson erwiderte das Lächeln. »Eine ganz natürliche Frage.«
»Ich bin nur müde. Sehr müde. Manchmal komme ich mir vor wie eine tickende Zeitbombe, und Sie warten nur darauf, wann ich hochgehe.«
»Kommen Sie sich wirklich so vor?« fragte McPherson. Mit einer mechanischen Bewegung rückte er Bensons Decke zurecht, um unauffällig einen Blick auf die verschiedenen Kurven werfen zu können. Alles in Ordnung. »Ticktick«, sagte Benson und schloß die Augen. »Ticktick …«
McPherson runzelte die Stirn. Er war von Benson die Vergleiche aus dem Bereich der Mechanik gewöhnt. Schließlich hatte sich in diesem Mann die Idee verfestigt, Menschen als Maschinen zu sehen. Aber diese Äußerungen so bald nach der Operation?
»Irgendwelche Schmerzen?«
»Keine. Ein leichter Druck hinter den Ohren, als ob ich mich gestoßen hätte, aber sonst nichts.«
Das sind die Knochenreaktionen nach den Bohrungen, dachte McPherson.
»Gestoßen?«
»Ich fühle mich herumgestoßen«, sagte Benson. »Ich bin ein gefallener Mensch.«
»Inwiefern?«
»Ich werde in eine Maschine verwandelt.« Er öffnete die Augen und lächelte wieder. »Oder in eine Zeitbombe.«
»Irgendwelche Gerüche? Seltsame Wahrnehmungen?«
McPherson warf dabei einen Blick auf die EEG-Kurve über dem Bett. Der Schirm zeigte immer noch die normale Alpha-Kurve ohne irgendwelche Hinweise auf Krampftätigkeit.
»Nein. Nichts dergleichen.«
»Aber Sie haben das Gefühl, explodieren zu müssen?«
Insgeheim dachte er: Die Ross müßte solche Fragen stellen.
»So ähnlich«, sagte Benson. »Im nächsten Krieg werden wir vielleicht alle explodieren.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie wirken verstimmt«, stellte Benson fest.
»Nein, ich bin nur erstaunt. Sie sagten eben etwas über den nächsten Krieg. Wie meinten Sie das?«
»Ich meine den bevorstehenden Krieg zwischen Mensch und Maschine. Das menschliche Gehirn ist veraltet.«
Das war ein neuer Gedanke, den McPherson bisher von Benson noch nicht gehört hatte. Er sah den Mann an, der mit dick verbundenem Kopf vor ihm im Bett lag. Durch die Verbände wirkte der Oberkörper grotesk übertrieben. »Ja«, sagte Benson. »Das menschliche Gehirn kommt nicht mehr weiter. Es ist erschöpft und hat deshalb die nächste Generation intelligenten Lebens zur Welt gebracht. Es wird … Warum bin ich nur so müde?« Er schloß wieder die Augen.
»Sie sind nach der Operation erschöpft.«
»Ein kleiner Eingriff«, sagte Benson und lächelte mit geschlossenen Augen.
Etwas später schnarchte er.
McPherson blieb noch eine Weile neben dem Bett stehen, dann trat er ans Fenster und betrachtete den Sonnenuntergang über dem Pazifik. Benson hatte ein hübsches Zimmer bekommen. Von hier aus konnte man zwischen den Wohntürmen von Santa Monica ein Stückchen Ozean sehen. Er blieb mehrere Minuten so stehen. Benson schlief fest. Schließlich verließ McPherson das Zimmer 710 und ging ins Stationszimmer, um seinen Bericht zu schreiben.
Patient bei Bewußtsein, ansprechbar, dreifach orientiert.
Er hielt nach dieser Notiz inne. Er war sich nicht sicher, ob Benson in bezug auf Person, Ort und Zeit voll orientiert war. Er hatte es nicht kontrolliert. Aber McPherson ließ den Satz stehen, da der Patient bei klarem Bewußtsein und ansprechbar gewesen war.
Gedankenfluß geordnet und klar, aber Patient behält die fixe Maschinenidee von vor der Operation bei. Es ist noch zu früh für eine endgültige Aussage, aber die Voraussagen scheinen sich zu
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