Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
nach dem Aufwachen merkt der Priester-Captain, dass tatsächlich etwas schief gegangen ist. In seinen wilden Tagen als junger Mann hat sich Federico de Soya einige Male mit anderen Seminaristen betrunken, und nach einer dieser Zechtouren ist er in einem fremden Bett aufgewacht –
allein, Gott sei Dank –, aber nichtsdestotrotz in einem fremden Bett in einem unbekannten Stadtteil und ohne eine Ahnung, wie er dorthin gekommen ist. Dieses Erwachen ist etwa genauso.
Statt die Augen aufzuschlagen und die geschlossenen und vollautomatischen Krippencouchen an Bord der Raphael zu sehen, Ozon und den wieder aufbereiteten Schweißgeruch des Schiffes zu riechen, das panikartige Gefühl des Fallens in der Schwerelosigkeit zu spüren, liegt de Soya in einem bequemen Bett in einem hübschen Zimmer in einer so gut wie normalen Schwerkraft. Religiöse Ikonen hängen an den Wänden – die Jungfrau Maria, ein großes Kruzifix mit einem leidenden Christus, der die Augen zum Himmel gewandt hat, einem Gemälde, welches das Martyrium des Heiligen Paulus darstellt. Schwaches Sonnenlicht fällt durch Spitzenvorhänge herein.
Das alles kommt dem fassungslosen de Soya irgendwie vertraut vor, ebenso das freundliche Gesicht des untersetzten kleinen Priesters, der ihm Brühe bringt und eine beiläufige Unterhaltung beginnt. Schließlich stellen Pater Captain de Soyas regenerierte Synapsen den Zusammenhang her: Pater Baggio, der Auferstehungskaplan, den er zuletzt im Garten des Vatikans gesehen hat, in der festen Überzeugung, dass er ihn nie wieder sehen würde. De Soya löffelt seine Brühe, schaut zum Fenster der Pfarrei hinaus, sieht den fahlblauen Himmel und denkt: Pacem. Er bemüht sich, die Ereignisse zu rekapitulieren, die ihn hierher gebracht haben, aber das Letzte, woran er sich erinnern kann, ist die Unterhaltung mit Gregorius und seinen Männern, der lange Aufstieg aus dem Schwerefeld von Mare Inifinitus und 70 Ophiuchi A, dann der Schock des Übergangs.
»Wie?«, murmelt er und packt den freundlichen Priester am Ärmel.
»Warum?... Wie?«
»Na, na«, sagt Pater Baggio, »ruh dich aus, mein Sohn. Wir haben später Zeit, über alles zu reden. Zeit für alles.«
Von der sanften Stimme, dem goldenen Licht und der sauerstoffreichen Luft eingelullt, schließt de Soya die Augen und schläft. Seine Träume sind geheimnisvoll.
Beim Mittagessen – wieder Brühe – wird es für de Soya offensichtlich, dass der freundliche, untersetzte Pater Baggio keine seiner Fragen beantworten wird: keine Antwort darauf, wie er nach Pacem gekommen ist; keine Antwort, wo seine Männer sind und wie es ihnen geht; und keine Antwort, weshalb er nicht antworten will. »Pater Farrell kommt bald«, sagt der Auferstehungskaplan, als würde das alles erklären. De Soya kommt wieder zu Kräften, badet, kleidet sich an, bemüht sich, seine fünf Sinne zusammenzubekommen, und wartet auf Pater Farrell.
Pater Farrell trifft am frühen Nachmittag ein. Er ist ein großer, dünner, asketischer Priester – Commander der Legionäre Christi, wie de Soya bald und ohne große Überraschung herausfindet –, und seine Stimme ist zwar sanft, aber brüsk und sachlich. Farrells Augen sind von einem kalten Grau.
»Sie sind verständlicherweise neugierig«, sagt Pater Farrell. »Und zweifellos etwas verwirrt. Das ist normal bei gerade Auferstandenen.«
»Ich bin mit den Nebenwirkungen vertraut«, sagt de Soya mit einem ironischen Lächeln. »Aber ich bin neugierig. Wie kommt es, dass ich auf Pacem erwache? Was ist im Hebron-System passiert? Und wie geht es meinen Männern?«
Farrells graue Augen blinzeln nicht, als er antwortet. »Die letzte Frage zuerst, Pater Captain. Sergeant Gregorius und Corporal Kee geht es gut...
sie genesen in diesem Augenblick in der Auferstehungskapelle der Schweizergarde.«
»Lancer Rettig?«, fragt de Soya. Das unheilschwangere Gefühl, das seit dem Erwachen über ihm hängt, spreizt seine dunklen Schwingen.
»Tot, fürchte ich«, sagt Farrell. »Der wahre Tod. Er hat die Letzte Ölung bekommen, und sein Leichnam wurde dem Weltraum übergeben.«
»Wie ist er gestorben... ich meine, den wahren Tod?«, bringt de Soya hervor. Ihm ist zum Weinen zumute, aber er weint nicht, weil er nicht sicher ist, ob es sich um aufrichtige Trauer oder um die Nachwirkungen der Auferstehung handelt.
»Ich kenne die Einzelheiten nicht«, sagt der hoch gewachsene Mann. Die beiden befinden sich im kleinen Wohnzimmer der Pfarrei, das Treffen und wichtigen
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