Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
Tür faltete sich hinter mir zu wie ein gieriger Mund über einem Leckerbissen.
Der Korridor, der in dieses Schiff hineinführte, war nicht so, wie ich ihn mir vorgestellt hätte. Das Innere von Raumschiffen hatte ich mir stets wie die Kabinen der seefahrenden Truppentransportschiffe ausgemalt, die das Regiment unserer Heimatgarde nach Ursus befördert hatten: graues Metall, Nieten, verbeulte Schotts und zischende Dampfrohre. Von alledem war hier nichts zu sehen. Der Korridor war glatt, abgerundet und fast konturlos, die inneren Schotts mit einem formschönen Holz furniert, das so warm und organisch wie Fleisch wirkte. Ich wusste nicht, ob es eine Luftschleuse gab, gesehen hatte ich jedenfalls keine. Vor mir ging indirekte Beleuchtung an, je weiter ich mich vorwärts bewegte, und erlosch hinter mir wieder, sodass ich mich ständig in einem beleuchteten Kreis befand und vor und hinter mir Dunkelheit herrschte. Ich wusste, der Durchmesser des Schiffs konnte nicht mehr als zehn Meter betragen, aber durch die unmerkliche Krümmung des Korridors wirkte es innen größer, als es von außen ausgesehen hatte.
Der Korridor hörte im, wie ich vermutete, Zentrum des Schiffs auf: ein offener Schacht mit einer zentralen Wendeltreppe aus Metall, die sich nach oben und unten in die Dunkelheit erstreckte. Ich setzte den Fuß auf die erste Stufe, und irgendwo über mir gingen Lichter an. Ich vermutete, dass der interessantere Teil des Schiffs oben lag, und begann mit dem Aufstieg.
Das nächste Deck beanspruchte das gesamte Rund des Schiffs und enthielt eine antike Holonische, wie ich sie in alten Büchern gesehen hatte, eine Ansammlung Stühle und Tische in einem Stil, den ich nicht identifizieren konnte, und einen Konzertflügel. Ich sollte an dieser Stelle hinzufügen, dass wahrscheinlich nicht einer von zehntausend auf Hyperion Geborenen das Objekt als Klavier hätte identifizieren können – schon gar nicht als Flügel. Meine Mutter und Grandam hatten ein leidenschaftliches Interesse für Musik gehegt, daher hatte ein Klavier den größten Teil des Raumes in einem unserer elektrischen Wohnmobile beansprucht. Ich hatte häufig gehört, wie meine Onkel oder Großvater sich über die Abmessungen und das Gewicht dieses Instruments beschwert hatten – über die vielen Joule Energie, die erforderlich waren, um dieses schwere Prä-Hegira-Instrument durch die Moore von Aquila zu transportieren, und darüber, wie vernünftig und effizient es wäre, einen Taschensynthesizer zu haben, der die Musik jedes Klaviers erzeugen konnte... und jedes anderen Instruments.
Aber Mutter und Grandam blieben unerbittlich – nichts konnte dem Klang eines richtigen Klaviers gleichkommen, sooft es auch nach einem Transport gestimmt werden musste. Und weder Großvater noch ein Onkel beschwerte sich, wenn Grandam nachts am Lagerfeuer etwas von Rachmaninow oder Bach oder Mozart spielte. Von dieser alten Frau erfuhr ich von den großen Pianos der Geschichte – einschließlich der Konzertflügel aus der Zeit vor der Hegira. Und nun sah ich einen vor mir.
Ich achtete nicht auf die Holonische und das Mobiliar, ich achtete nicht auf die konkave Fensterwand, die nur die dunklen Steine des Turms zeigte, sondern ging direkt zu dem Flügel. Über der Tastatur stand in goldenen Buchstaben das Wort STEINWAY. Ich pfiff leise und liebkoste mit den Fingern die Tasten, wagte aber nicht, eine zu drücken. Laut Grandam hatte diese Firma schon vor dem Großen Fehler von ‘08 keine Pianos mehr hergestellt, und seit der Hegira waren überhaupt keine mehr angefertigt worden. Ich berührte ein Instrument, das mindestens tausend Jahre alt war.
Steinways und Stradivaris waren Legenden unter uns Musikliebhabern.
Wie konnte das sein?, fragte ich mich, während ich mit den Fingern immer noch über Tasten strich, die aus dem legendären Elfenbein zu bestehen schienen – Stoßzähne eines ausgestorbenen Tieres namens Elefant.
Menschen wie der alte Dichter im Turm hatten möglicherweise aus der Zeit vor der Hegira überlebt – Poulsen-Behandlungen und kryogenische Einlagerungen konnten es theoretisch erklären –, aber Gegenstände aus Holz und Draht und Elfenbein hatten kaum eine Chance, diese lange Reise durch Raum und Zeit zu überstehen.
Meine Finger schlugen einen Akkord an: C-E-G-B. Und dann einen C-Dur-Akkord. Der Ton klang makellos, die Akustik des Raumschiffs war perfekt. Unser altes Klavier musste nach jedem Trip von wenigen Meilen über das Moor von Grandam neu
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