Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
Schönheit und Anmut tanzen. Im Nordwesten, mehr als tausend Klicks am hohen Grat des Gunung Agung entlang, liegt der Kilimachaggo, wo die Bewohner der unteren Terrassen nach einer angemessenen Zeitspanne ihre Toten aus dem lehmigen Löss der Felsspalten ausgraben und die Gebeine weit über den Bereich der atembaren Atmosphäre hinausschaffen – wobei sie in handgenähten Hautanzügen und Atemmasken klettern –, um ihre Verwandten im steinharten Eis nahe der Achtzehntausend-Meter-Grenze erneut zu begraben, sodass die Schädel in ewiger froher Hoffnung durch das Eis zum Gipfel schauen.
Jenseits des Kilimachaggo ist Croagh Patrick, wo es angeblich keine Schlangen gibt, der einzige Gipfel, dessen Namen ich kenne. Aber meines Wissens gibt es auch sonst keine Schlangen auf den Bergen des Himmels.
Ich wende mich wieder nach Nordosten. Kälte und Wind bestürmen mich frontal und drängen mich zur Eile, aber ich gönne mir eine letzte Minute, um zu unserem Ziel zu schauen. A. Bettik scheint ebenfalls keine Eile zu haben, obwohl bei ihm auch Unbehagen angesichts der bevorstehenden Rutschpartie der Grund dafür sein könnte, dass er die Pause mit mir einlegt.
Nördlich und östlich von hier, hinter der Steilwand des K’un-Lun-Massivs, liegt das Mittlere Königreich mit seinen fünf Gipfeln, die im Laternenlicht des Orakels erstrahlen.
Nördlich von uns überbrücken der Laufweg und ein Dutzend Hängebrücken die Leere zur Stadt Jo-kung und dem zentralen Gipfel von Sung Shan, dem »Erhabenen«, wenngleich das bei weitem der niederste der fünf Gipfel des Mittleren Königreichs ist. Vor uns erhebt sich der Hua Shan, der »Berg der Blumen«, der westlichste Gipfel des Mittleren Königreichs und unbestreitbar der schönste, der von Südwesten her lediglich durch einen Grat aus reinem Eis mit der serpentinenförmigen Route der Gleitbahn verbunden ist. Vom Hua Shan verbinden die letzten Klicks des Kabelwegs den Berg der Blumen mit den Sattelkämmen nördlich von Jo-kung, wo Aenea auf dem Hsuan-k’ung Ssu arbeitet, dem »Tempel, der in der Luft hängt«, der an einer lotrechten Felswand über dem Abgrund erbaut wurde und Ausblick nach Norden bis Heng Shan bietet, dem Heiligen Berg des Nordens.
Etwa zweihundert Klicks südlich gibt es einen zweiten Heng Shan, der die dortige Grenze des Mittleren Königreichs bildet, aber er ist ein enttäuschender Hügel verglichen mit Steilwänden, Klüften und dem atemberaubenden Profil seines nördlichen Pendants. Während ich durch den tosenden Wind und die Graupelschauer nach Norden blicke, erinnere ich mich daran, wie ich nach meiner Ankunft auf dem Planeten im Schiff des Konsuls zwischen dem edlen Heng Shan und dem Tempel schwebte.
Ich schaue wieder nach Osten und Norden und kann hinter Hua Shan und der kleinen, zentralen Spitze des Sung Shan mühelos den unglaublichen Gipfel des T’ai Shan erkennen, dessen Silhouette sich mehr als dreihundert Klicks entfernt vor dem Orakel abzeichnet. Das ist der Hohe Gipfel des Mittleren Königreichs, 18 200 Meter hoch; Tai’an – die Stadt des Friedens – schmiegt sich in neuntausend Meter Höhe an seine Flanke, und von dort aus führt die legendäre Treppe der siebenundzwanzigtausend Stufen zum sagenhaften Tempel des Jadekaisers auf dem Gipfel.
Ich weiß, dass sich jenseits unseres Heiligen Bergs des Nordens die vier Berge der Pilgerschaft gläubiger Buddhisten befinden – Omei Shan im Westen; Chiu-hua Shan, der »Berg der neun Blumen«, im Süden; Wu-t’ai Shan, der »Berg der fünf Terrassen« mit seinem heimligen Purpurpalast, im Norden; und der niedere, aber von subtiler Schönheit gekennzeichnete P’u-t’o Shan im fernen Osten.
Ich gönne mir noch einige Sekunden auf dem windumtosten Eiskamm, schaue nach Jo-kung und hoffe, die Lichter der Fackeln zu sehen, die den Gletscherspaltenpass nach Hsuan-k’ung Ssu säumen, aber hohe Wolken oder die Schleier des Graupelschauers verhüllen die Sicht, sodass im Lichtschein des Orakels nur Schemen auszumachen sind.
Ich drehe mich zu A. Bettik um, zeige auf die Gleitbahn und zeige den aufwärts gerichteten Daumen. Der Wind weht inzwischen so heftig, dass Worte nutzlos wären.
A. Bettik nickt, greift hinter sich und holt die zusammengefaltete Schlittenfolie aus einer Außentasche seines Rucksacks. Ich stelle fest, dass mein Herz nicht nur vor Anstrengung schneller schlägt, als ich meine eigene Schlittenfolie zur Hand nehme und sie zur Startrampe der Gleitbahn trage.
Die Gleitbahn ist
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