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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Felswand geworfen, und wir werden zu Schattenmarionetten – zwei seltsame Strichmännchen mit rudernden Extremitäten, als wir die Halteringe bedienen, um die Abfahrt zu bremsen, und unsere Beine zur Landung ausstrecken. Dann schwillt der Ton der Flaschenzugbremse von einem leisen Summen zu einem lauten Quietschen an, als ich das letzte Bremsmanöver vor dem Landesims einleite – einer sechs Meter breiten Felsplattform, deren Rückwand mit einem gepolsterten Zygeißenfell bedeckt ist, das durch Wettereinflüsse braun und verwittert aussieht.
    Drei Meter von der Felswand entfernt komme ich schlitternd zum Stillstand, stemme die Füße auf den Fels und öffne die Klemmen von Flaschenzug und Sicherungsleine mit der Schnelligkeit langer Übung. A.
    Bettik gleitet einen Moment später zum Stillstand. Auch mit einer Hand macht der Androide eine weitaus anmutigere Figur an den Kabeln als ich; er braucht weniger als einen Meter der Landebahn.
    Wir stehen eine Minute nebeneinander und betrachten die Sonne, die auf dem Grat des Phari-Massivs balanciert, und das schräge Licht, das den vereisten Gipfel bescheint, der südlich davon bis in die Strahlströmung ragt. Als wir unsere Harnische und Ausrüstungsschlingen zu unserer Zufriedenheit justiert haben, sage ich: »Es wird dunkel sein, bis wir das Mittlere Königreich erreichen.«
    A. Bettik nickt. »Ich hätte die Rutschpartie gern hinter uns, bevor die Dunkelheit endgültig hereinbricht, M. Endymion, fürchte aber, das wird nicht der Fall sein.«
    Schon beim Gedanken daran, die Abfahrt in der Dunkelheit zu bewerkstelligen, zieht sich mein Hodensack zusammen. Ich frage mich beiläufig, ob es bei einem männlichen Androiden zu ähnlichen physiologischen Reaktionen kommen kann. »Machen wir, dass wir weiterkommen«, sage ich und eile im Laufschritt den Sims entlang.
    Auf dem Kabelweg haben wir mehrere hundert Meter Höhe verloren, die wir jetzt wieder gutmachen müssen. Der Sims ist bald zu Ende – es gibt sehr wenige flache Stellen auf den Gipfeln der Berge des Himmels –, und unsere Stiefel hallen, als wir einen Laufsteg aus Bonsaibambus entlanglaufen, der von der Klippe hinausragt und über das Nichts führt. Es gibt kein Geländer hier. Die Abendwinde nehmen zu, und ich schließe im Laufen meine Jacke und die Chuba aus Zygeißenfell. Der schwere Rucksack hüpft auf meinem Rücken.
    Der Jumarpunkt liegt weniger als einen Klick nördlich des Landesimses.
    Wir begegnen niemandem auf dem Laufsteg, aber weit jenseits des wolkenverhangenen Tals können wir sehen, wie auf dem Laufweg zwischen Phari und Jokung die Fackeln angezündet werden. Der Gerüstweg und das Labyrinth der Schwebebrücken auf jener Seite des Großen Abgrunds wimmeln von Menschen auf dem Weg nach Norden – manche zweifellos auf dem Weg zum »Tempel, der in der Luft hängt«, um Aeneas öffentliche Ansprache zu hören. Ich möchte vor ihnen dort sein.
    Der Jumarpunkt besteht aus vier fixierten Seilen, die bis fast siebenhundert Meter über uns an der vertikalen Felswand hinaufführen. Die roten Seile dienen dem Aufstieg. Ein paar Meter entfernt baumeln die blauen Leinen zum Abstieg vom Gipfel. Inzwischen hüllen uns die Abendschatten ein, die aufkommenden Winde sind kalt. »Nebeneinander?«, sage ich zu A. Bettik und zeige auf eines der mittleren Seile.
    Der Androide nickt. Sein blaues Antlitz sieht genauso aus, wie ich es von unserer Flucht von Hyperion vor fast zehn Jahren in Erinnerung habe. Was hatte ich erwartet – dass ein Androide altert?
    Wir entfernen die Steigmotoren von dem Zubehörreck, klemmen sie an angrenzenden Seilen fest und schütteln die hängenden Mikrofaserleinen, als würde uns das verraten, ob sie noch fest verankert sind. Die starren Seile hier werden nur gelegentlich von den Kabelmeistern überprüft; sie könnten von einem Jumarklipp zerrissen, von verborgenen Felssporen durchgescheuert oder von Eis überzogen sein. Bald werden wir es wissen.
    Wir klemmen beide eine Kette und étriers an unsere Steigmotoren. A. Bettik wickelt acht Meter Kletterseil auf, die wir mit Karabinerhaken an unseren Harnischen befestigen. Sollte eine der festen Leinen reißen, kann die andere Person den Absturz des ersten Kletterers bremsen. Jedenfalls theoretisch.
    Die Steigmotoren sind das Höchstmaß an Technologie, das die meisten Bewohner von T’ien Shan besitzen: Sie sind kaum größer als unsere Hände, die in die Vertiefungen der Griffe passen, und werden von einer versiegelten

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