Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
schnell. Darin hat stets ihre Faszination gelegen. Und ihre größte Gefahr.
Ich bin überzeugt, es gibt Orte im Pax, wo der uralte Brauch des Bobfahrens noch existiert. Bei dieser Sportart sitzt man in einem Schlitten mit flachem Boden und rast eine vorab präparierte Eisstrecke hinunter. Das ist auch eine ziemlich zutreffende Beschreibung für die Gleitbahn, nur haben A. Bettik und ich anstelle eines Schlittens mit flachem Boden eine Schlittenfolie, die keinen Meter lang ist und sich wie ein Löffel um uns krümmt. Die Schlittenfolie ist mehr Folie als Schlitten und schlapp wie Alufolie, jedenfalls bis wir ein wenig Strom von unseren Steigmotoren abzweigen und den Versteifern in der Folienstruktur die piezoelektrische Botschaft senden, die bewirkt, dass unsere kleinen Schlitten sich innerhalb weniger Sekunden aufzublähen scheinen und Form annehmen.
Aenea hat mir einmal gesagt, dass es starre Kohlenstoff-Kabel gab, die auf der gesamten Länge der Gleitbahn verliefen, und dass die Rutschenden sich daran festgeklinkt hatten wie wir an einen Kabelweg oder eine Beförderungsleitung, wobei sie einen speziellen reibungsarmen Ringklipp verwendeten, nicht unähnlich der Flaschenzugaufhängung, die verhindern soll, dass Geschwindigkeit verloren geht. Auf diese Weise konnte man mit Hilfe des Kabels bremsen oder, sollte der Schlitten aus der Bahn fliegen, das Verbindungsseil als Halteleine benutzen. Mit so einer Halteleine konnte man sich blaue Flecken oder gebrochene Knochen holen, aber wenigstens flog man nicht zusammen mit dem Schlitten in den Abgrund.
Aber die Kabel hatten nicht funktioniert, hatte Aenea gesagt. Es erforderte zu viel Wartung, sie frei und funktionstüchtig zu halten. Plötzliche Eisstürme konnten bewirken, dass sie an der Gleitbahn festfroren und jemand mit einhundertfünfzig Klicks pro Stunde plötzlich mit dem Ringklipp auf unnachgiebiges Eis stieß. Auch heutzutage ist es schwer genug, den Kabelweg freizuhalten: Die gespannten Kabel der Gleitbahn waren untragbar gewesen.
Also wurden die Gleitbahnen aufgegeben. Jedenfalls bis Teenager, die nach einem Nervenkitzel suchten, und Erwachsene in höchster Eile feststellten, dass man in neun von zehn Fällen die Schlittenfolie in der Spur halten konnte, indem man einfach nur dahinglitt – das heißt, indem man eine oder mehrere Eisäxte in die Einrastposition brachte und die Geschwindigkeit niedrig genug hielt, um in der Spurrinne zu bleiben. »Niedrig genug« heißt in diesem Fall unter hundertfünfzig Klicks pro Stunde. In neun von zehn Fällen ging es gut. Wenn man sehr geschickt war. Und wenn die Umstände perfekt waren. Und wenn es Tag war. A. Bettik und ich hatten die Gleitbahn schon dreimal benutzt, einmal, als wir mit einer Medizin von Phari zurückkehrten, die dringend gebraucht wurde, um einem kleinen Mädchen das Leben zu retten, und zweimal nur, um die Kurven und Geraden kennen zu lernen. Damals war die Reise berauschend und Furcht einflößend gewesen, aber wir hatten sie wohlbehalten hinter uns gebracht. Aber es war jedes Mal bei Tag gewesen... ohne Wind... und mit anderen Gleitern vor uns, die uns den Weg zeigten.
Jetzt ist es dunkel, die lange Strecke vor uns glänzt tückisch im Mondlicht. Die Oberfläche sieht vereist und steinhart aus. Ich habe keine Ahnung, ob jemand an diesem Tag die Abfahrt gewagt hat... oder in dieser Woche... ob jemand nach Spalten, Verwerfungen im Eis, Brüchen, Rissen, Eiszapfen oder anderen Hindernissen gesucht hat. Ich habe keine Ahnung, wie lang die alten Strecken für das Bobfahren gewesen sind, aber diese Gleitbahn ist mehr als zwanzig Klicks lang, verläuft an der Seite des lotrechten Abruzzi-Vorsprungs, der das Massiv K’un Lun mit den Hängen des Hua Shan verbindet, und wird erst auf den sanft geneigten Eisfeldern an der Westseite des Berges der Blumen flacher, Kilometer südlich des sicheren und langwierigeren Laufwegs, der sich von Norden herabwindet.
Vom Hua Shan sind es nur neun Klicks und drei mühelose Kabelstrecken zum Gerüst von Jo-kung, danach ein forscher Spaziergang durch den Pass der Gletscherspalte und die Laufstege an der Steilwand hinab bis Hsuan-k’ung Ssu.
A. Bettik und ich sitzen nebeneinander wie Kinder auf Schlitten, die darauf warten, dass Mommy oder Daddy sie anschubsen. Ich beuge mich hinüber, halte meinen Freund an der Schulter und ziehe ihn dichter zu mir, damit ich durch den Thermostoff seiner Kapuze und Gesichtsmaske brüllen kann. Der Wind peitscht mir mittlerweile Eis
Weitere Kostenlose Bücher