Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
Der große Mann hilft de Soya auf die Füße. Der Priester-Captain kann nicht stehen – sein linkes Bein blutet und ist nutzlos –, daher hält Gregorius ihn mit einem gigantischen Arm aufrecht, während er die Energielanze über das gesamte Areal schwenkt.
»Nicht schießen!«, ruft de Soya. »Das Mädchen...«
»Fort«, sagt Sergeant Gregorius. Er feuert. Ein Strahl reiner Energie schießt in den prasselnden Sandwirbel. »Verdammt!«
Gregorius wirft den Priester-Captain über seine gepanzerte Schulter. Die Schreie über das Funknetz werden schriller.
Meine Uhr und der Kompass sagen mir, dass ich fast da bin. Nichts sonst deutet darauf hin. Ich fliege immer noch blind, klammere mich immer noch an der schwankenden Hawking-Matte fest, die durch die Verzweigungen des endlosen Labyrinths rast. Ich spüre nicht, dass sich die Tunnel zur Oberfläche neigen, aber natürlich spüre ich außer Schwindel und Klaustrophobie überhaupt ziemlich wenig.
In den letzten zwei Stunden habe ich die Nachtsichtbrille getragen und meine Flugbahn mit der auf größte Streuung eingestellten Taschenlampe beleuchtet. Bei dreihundert Klicks pro Stunde sausen die Felswände mit beängstigender Geschwindigkeit vorbei. Aber lieber das als die Dunkelheit.
Ich trage die Brille immer noch, als der erste Lichtschein auftaucht und mich blendet. Ich ziehe sie ab, verstaue sie in einer Westentasche und blinzle, damit die Phantombilder verschwinden. Die Hawking-Matte befördert mich einem Rechteck aus gleißendem Licht entgegen.
Ich erinnere mich, dass der alte Dichter sagte, das dritte Höhlengrab sei seit mehr als zweieinhalb Jahrhunderten verschlossen. Nach dem Fall wurden die Tore sämtlicher Zeitgräber auf Hyperion versiegelt, aber in dem dritten Höhlengrab gab es eine Felswand, die es hinter dem geschlossenen Portal von dem Labyrinth abtrennte. Seit Stunden hatte ich halb damit gerechnet, dass ich mit fast dreihundert Klicks pro Stunde an dieser Felswand zerschellen würde.
Das Rechteck aus Licht wächst rapide. Mir wird klar, dass der Tunnel schon seit geraumer Zeit aufwärts geneigt ist und zur Oberfläche führt. Ich liege flach auf der Hawking-Matte und spüre, wie sie langsamer wird, als sie sich dem Ende ihres programmierten Flugplans nähert. »Gute Arbeit, alter Mann«, sage ich und höre meine Stimme zum ersten Mal seit dem Intermezzo vor dreieinhalb Stunden.
Ich spreize die Hand über dem Beschleunigungsmuster, weil ich Angst davor habe, die Matte hier auf Schritttempo abzubremsen, wo ich doch eine einfache Zielscheibe abgeben würde. Ich hatte gesagt, dass ein Wunder erforderlich wäre, damit ich nicht von der Schweizergarde abgeschossen werde; der Dichter hatte mir eins versprochen. Es wird höchste Zeit.
Sand wirbelt in die Öffnung des Grabes und verhüllt den Ausgang wie ein trockener Wasserfall. Ist das sein Wunder? Ich hoffe nicht. Soldaten können mühelos durch einen Sandsturm sehen. Ich bringe die Matte dicht am Ausgang zum Stillstand, binde mir einen Schal über Nase und Mund, lege mich wieder flach auf den Bauch, streiche mit den Fingern über das Flugmuster und drücke die Beschleunigungsfäden.
Die Hawking-Matte fliegt durch den Ausgang ins Freie hinaus.
Ich schwenke hart nach rechts, lasse die Matte in einem hektischen Ausweichmuster auf- und abwärts sausen und weiß, noch während ich es tue, dass derlei Manöver gegen automatische Zielerfassung völlig nutzlos sind. Es spielt keine Rolle – mein Wille zu überleben setzt mein logisches Denken außer Kraft.
Ich kann nichts sehen. Der Sturm tobt so heftig, dass alles, was mehr als zwei Meter vom Rand der Matte entfernt ist, von ihm eingehüllt wird. Es ist Wahnsinn... der alte Dichter und ich haben nie über die Möglichkeit gesprochen, dass hier ein Sandsturm toben könnte. Ich kann nicht einmal sagen, in welcher Höhe ich fliege.
Plötzlich zieht eine rasiermesserscharfe fliegende Festung weniger als einen Meter unter dem rasenden Teppich vorbei, wenig später fliege ich unter einer stacheligen Metallstrebe hindurch, und mir wird klar, dass ich gerade um ein Haar mit dem Palast des Shrike kollidiert wäre. Ich fliege genau in die falsche Richtung – Süden –, müsste aber am nördlichen Ende des Tals sein. Ich schaue auf den Kompass, der mir meinen Irrtum bestätigt, und wende die Hawking-Matte. Soweit ich anhand des Shrike-Palastes erkennen konnte, muss die Matte in einer Höhe von rund zwanzig Metern fliegen. Ich bringe den Teppich zum
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