Endymion Spring - Die Macht des geheimen Buches
unbehaglichen Blick zu. Sie saß auf der äußersten Kante des Sofas und rutschte unruhig hin und her.
Aber Blake konzentrierte sich im Augenblick mehr auf die nächste Frage des Professors.
»Bist du ganz sicher, Blake, dass das Buch gestern Abend nicht mehr da war?«, fragte er eindringlich. Sein Stuhl knarrte ein wenig, als er sich gespannt vorbeugte.
Blake öffnete schon den Mund, da hielt ihn der Professor mit erhobenem Finger zurück. »Denk jetzt gut nach. Das ist wichtig.«
Seine Stimme klang sorgenschwer.
Blake kniff die Augen zusammen und versuchte, sich die Szene noch einmal vorzustellen. Er sah den Lichtstrahl seiner Taschenlampe durch die Dunkelheit tasten und über die Reihen der stummen, wachsamen Bücher huschen. Er sah die beiden großen Bände in dem Regal am Ende des Gangs, die sich gegeneinander neigten, und er sah die dunkle Lücke zwischen ihnen ...
»Ja, ganz sicher«, sagte er. »Es war weg.«
»Und ist dir jemand gefolgt?«
Die Frage jagte Blake einen Schauer über den Rücken. »Das ist es eben«, sagte er nervös. »Da war tatsächlich jemand.«
Der Professor starrte ihn an.
»Wer?«
Duck atmete schnell und mit offenem Mund.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Blake verzweifelt. »Es war dunkel. Ich konnte nicht viel sehen. Die Katze hatte sich hinter mir reingeschlichen, und ich musste sie erst wieder einfangen. Oben auf der Galerie. In dieser Zeit ist es passiert.«
»Das mit den Büchern unten?«, half der Mann sachte nach.
Blake nickte. In seinem Hals hatte sich ein Kloß gebildet, der ihm das Schlucken erschwerte. »Als ich herunterkam, lagen die Bücher schon auf dem Boden«, sagte er. »Überall waren zerrissene Seiten ... genau da, wo ich am Nachmittag Endymion Spring gefunden hatte. Es war, als sei jemand hinter dem Buch hergewesen. Aber natürlich habe ich mich nicht länger aufgehalten, ich wollte nichts wie weg. Dann bin ich zum Dinner zurückgelaufen.«
»Ja, ja, das war nur vernünftig«, gab der Professor mit einem Seufzer zu. »Hast du der Bibliothekarin erzählt, was du gesehen hast?«
»Nein. Ich wollte keinen Ärger bekommen. Außerdem war meine Mutter schon ziemlich böse.«
»Verstehe.« Jolyon schwieg eine Weile, und Blake ahnte, was er insgeheim dachte: Wäre der Junge nur eine Spur mutiger gewesen oder hätte er nur einen Moment länger gewartet, dann hätte er den Übeltäter auf frischer Tat ertappt. Nachdenklich legte der Professor die Finger an seine Lippen.
Blake wollte ihn nicht stören, aber es drängte ihn, sich doch noch einmal zu entschuldigen. »Es tut mir wirklich Leid, Professor Jolyon. Ich wollte das nicht. Ehrlich! Ich wollte nur etwas über das leere Buch herausfinden, mehr nicht.« Seine Stimme zitterte.
Von Jolyons Gesicht verschwand der angespannte Ausdruck, eine Falten verloren ihre Schärfe und er lächelte sogar wieder ein bisschen. »Niemand macht dir einen Vorwurf, mein Kind«, sagte er freundlich. »Du bist kein Junge, der Bücher beschädigt, das weiß ich. Du bist da nur in etwas hineingeraten, in etwas ...« - er suchte das richtige Wort - »... in eine viel weiter reichende Sache, als du sie dir wahrscheinlich vorstellen kannst. Endymion Spring muss dich aus einem bestimmten Grund ausgewählt haben.«
Blake sah ihn ungläubig an. »Aus einem Grund?«, wiederholte er mit stummen Lippenbewegungen, aber Duck reagierte schneller.
»Das Buch hat ihn ausgewählt?«, sprudelte sie fassungslos.
»Ja, ich glaube«, sagte Jolyon ernst.
»Aber wie kann das sein?«, rief sie. »Es ist nur ein Buch!«
»Nein, Duck, Endymion Spring ist nicht nur ein Buch«, sagte Jolyon nachdrücklich.
»Wie meinen Sie das?«
»Es ist das legendärste, meistgesuchte Buch der Welt, und wenn es in die falschen Hände gerät, kann es ungeheuer gefährlich sein.«
Blake sah auf. Ihm war, als sei plötzlich eine schwere Last auf seine Schultern gesackt.
»Gefährlich?« Ein neues Gefühl von Verantwortung bedrückte ihn.
»O ja, Blake. Bücher können große Macht besitzen«, sagte Jolyon. »Und wie du erfahren hast, ist dieses Buch nicht ohne besondere Fähigkeiten.«
»Aber das mit dem Rätsel hat sich Blake doch ausgedacht«, wandte Duck ein. »Ich stand direkt neben ihm, als er's gefunden hat. Es gab in dem Buch keine Wörter, da bin ich ganz sicher.«
»Eben doch!«, protestierte Blake. »Ich schwöre, Professor Jolyon, ich hab Wörter in dem Buch gesehen.«
»Ja, ich glaube dir«, sagte der Mann. »Und wenn es wahr ist, was du sagst,
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