Endymion Spring - Die Macht des geheimen Buches
ohne dich, ich brauche dich — ich brauche euch alle beide.«
Ihre nächsten Worte waren kaum zu hören, ihre Stimme klang wie eine Kinderstimme. »Bitte ... ich will euch nicht auch noch verlieren.«
Instinktiv ging Blake zu ihr und legte ihr den Arm um die Schultern.
»Es tut mir Leid«, flüsterte er, und dieses Mal meinte er, was er sagte.
Siebzehn
ie nächste Stunde erlebte er wie durch einen Schleier. Seine Mutter drängte, er solle sich fertig machen, sie müsse den ganzen Tag in der Bibliothek arbeiten. »Heute muss ich ordentlich was schaffen.«Gehorsam stiegen Duck und Blake die Treppe hinauf.Im Bad studierte Blake sein Spiegelbild und runzelte die Stirn. Was konnte Endymion Spring an ihm finden? Er war nicht der Heldentyp. Er war nur ein dünner Junge mit Rippen wie Xylophonstäben und ungleichen Augen, die nie jemandem offen ins Gesicht blickten. Sie hatten die lästige Angewohnheit, je nach Blakes Stimmungslage ihre Farbe zu verändern: hellblau, wenn er ängstlich oder durcheinander war, und dunkler, wenn er wütend war. Sein Dad verglich sie immer mit nassen Kieselsteinen. Er wünschte, sein Dad wäre hier und könnte sie ihm jetzt beschreiben. Sie waren wie geheimnisvolle Schatten.
Er schrubbte sich das Gesicht sauber, brachte sein Haar in Ordnung und versuchte, sein Gefühl von Zweifel und Versagen wegzuschieben. Dann ging er in sein Zimmer, um frische Sachen anzuziehen.
Er betrachtete eingehend den Papierdrachen, drehte ihn zwischen den Fingern hin und her und verglich ihn mit den Seiten aus Psalmanazars Buch - das Papier passte haargenau zusammen. Als er seine Mutter kommen hörte, versteckte er hastig den Drachen hinter seinem Kopfkissen und schnappte in vorgetäuschter Eile seinen Rucksack.
»Komm, komm, wir müssen los«, sagte sie. »Ich bringe euch zur College-Bibliothek, wo Mrs Richards ein Auge auf euch haben kann. Und ohne meine Erlaubnis geht ihr nicht auf irgendwelche Erkundungstouren, verstanden?«
Pflichtschuldig nickte Blake und stand auf. Er hatte kaum genug Zeit, Psalmanazars Büchlein einzustecken, da schob sie ihn schon aus dem Zimmer. Im Flur prallte er beinahe mit Duck zusammen. Sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu, aber Blake schenkte ihr keine Beachtung und stürmte die Treppe hinunter, immer noch verletzt von dem, was heute Morgen passiert war.
Ohne auf seine Mutter und seine Schwester zu warten, lief er hinaus.
In der Bibliothek suchte ihre Mutter Plätze für sie aus: direkt neben Mrs Richards' Büro, wo die Bibliothekarin sie gut im Blick hatte. Aber Paula Richards steckte bis über beide Ohren in den Vorbereitungen auf die Invasion der Ex Libris Gesellschaft, deren Mitglieder darum gebeten hatten, die Handschriftensammlung des Colleges sehen zu dürfen.
Jedes Mal, wenn sie vorbeihastete, sah sie kurz nach den Kindern, blieb aber nie stehen, um sich etwa mit ihnen zu unterhalten. Es war ganz klar, dass sie den Kopf mit anderen Dingen voll hatte. Insgeheim fragte sich Blake, ob sie ihn etwa verdächtigte, vorgestern Abend in der Bibliothek herumgeschnüffelt und dabei die Bücher auf dem Boden beschädigt zu haben. Jedenfalls zeigte sie heute wenig Herzlichkeit.
Er öffnete seinen Rucksack und kramte die Arbeitsblätter heraus, die ihm sein Lehrer mitgegeben hatte. Bisher hatte er sie erfolgreich ignoriert, doch inzwischen hatte seine Mutter angekündigt, seine Aufgaben jeden Abend zu kontrollieren - um sicherzugehen, dass er nicht noch weiter zurückfallen würde. Duck hatte ihre Sachen natürlich schon seit Ewigkeiten fertig.
Er stützte die Ellbogen auf den Tisch und versuchte sich zu konzentrieren. Es war schwer. Duck sah ihm dauernd über die Schulter und trommelte von hinten mit den Fingern an die Stuhllehne. Er spürte die Vibration wie eine Spinne über seinen Rücken kriechen.
»Verschwinde«, brummte er und verscheuchte sie mit der Hand.
»Ich kann dir helfen.«
»Ich brauche deine Hilfe nicht.« Er starrte die Worte auf dem Blatt an, ohne sie zu sehen. »Findest du nicht, dass du heute schon genug Ärger gemacht hast?«
Duck drückte sich noch eine Weile in der Nähe herum, dann sagte sie herablassend: »Also gut, wenn du mich nicht brauchst, dann sehe ich eben nach, was ich über Endymion Spring herausfinden kann.«
Das saß. Blake brauchte seine ganze Willenskraft, um ihr nicht eine gehässige Antwort hinzuwerfen. Er vergrub den Kopf in den Händen und stierte verzweifelt auf den Text vor sich. Bestimme die grammatischen
Weitere Kostenlose Bücher