Endzeit
der Polizei gesucht. Auf gar keinen Fall kann man sie einbeziehen. Kristin betrachtet Bethany mit einer Mischung aus Bestürzung und tiefer Abneigung. Der Physiker untersucht seine Hände.
»Roller«, sagt Bethany. Ihre Augen glitzern, sie hat die Mundwinkel verzogen. Ich spüre ein schwaches, hohes Summen in den Ohren wie bei einem Druckabfall im Flugzeug.
Als ich mich zu den anderen umdrehe, breitet sich Schmerz in meinen Schultern aus. Ich setze mich anders hin und richte mich gerade auf.
»Auch das ist eine moralische Entscheidung.«
|303| Die graue Eminenz seufzt. Die anderen wirken verlegen.
Modak sagt: »Das hört ja gar nicht mehr auf.«
»Ja, Professor M.«, knurrt Bethany. Tränen der Wut laufen ihr übers Gesicht. »Und Sie sind ja angeblich ein Experte dafür. Daher haben Sie doch diesen Ruf, oder? Ich habe Sie gegoogelt.«
Harish Modak schließt die Augen und atmet ruhig aus. »Ich hatte nicht damit gerechnet, dass man aufgrund meiner Position einen derartigen Druck auf mich ausüben würde«, murmelt er. »Aber man muss wohl konsequent sein, nehme ich an.« Ich atme aus. Eine so große Erleichterung hatte ich nicht erwartet. Er öffnet die Augen und mustert mich. »Was Ihre Rolle in dieser Sache angeht, Miss Fox …«
Ich zucke mit den Schultern. »Man hört nicht auf, seine Arbeit zu tun, nur weil man gefeuert wurde. Und ich tue hier meine Arbeit.«
Ned macht eine Bewegung, sagt aber nichts.
Ich denke: Ich tue meine Arbeit, denn Bethany ist meine Arbeit.
Und Bethany ist alles, was mir geblieben ist.
|304| 13
Nachdem sie ihre Freiheit durchgesetzt hat, verschwindet die menschliche Handgranate im Nebenraum, um fernzusehen, während sich die anderen unter Neds Leitung in eine intensive technische Diskussion stürzen. Erste Priorität sei, so sagt er, an die seismischen Daten von Traxorac zu gelangen; die zweite, dafür zu sorgen, dass die Warnung auf der Pressekonferenz die größtmögliche Öffentlichkeit erreicht. »Ich habe einen Plan, der meinen Freund, den Meeresbiologen, und sein Team in Grönland einbezieht. Bis dahin …« Er klickt, und auf dem Bildschirm seines Laptops erscheinen acht Spalten mit Stichpunkten auf einer Karte der Nordsee. »… sollten wir wie folgt vorgehen.« Ich kann verstehen, weshalb Frazer Melville ihn ins Boot geholt hat. Er ist ein strategisches Genie. Eines hat er allerdings nicht bedacht. Während Harish Modak ihn mit einer Frage über die Tonnage von Buried Hope Alpha unterbricht und Frazer Melville und Kristin Jonsdottir nach ihren Notizblöcken greifen, verlasse ich unbemerkt den Raum und rolle durch den Flur.
Die Küche des Bauernhauses ist riesengroß und düster, mit niedrigen Deckenbalken und einem dunklen, glänzend polierten Eichentisch. Darauf steht ein aufgeklappter Laptop. Ich setze den Kessel auf den Herd, suche Teebeutel, Tassen und Milch zusammen, starte den Rechner und lese die Online-Nachrichten. Wie erwartet ist die Geschichte, mit der ich seit Kavanaghs Anruf gerechnet habe, eine der großen Schlagzeilen.
Entführter Teenager: Behinderte Therapeutin unter Verdacht.
Ich werde rot vor Wut, als ich das Wort behindert lese. Beim weiteren Lesen vertieft sich die Röte.
Die Suche nach dem Teenager,
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der am Mittwoch aus einem Krankenhaus entführt wurde, hat sich nach dem Verschwinden ihrer ehemaligen Therapeutin Gabrielle Fox intensiviert. Neben dem Physiker Dr. Frazer Melville gilt sie nun als eine der Hauptverdächtigen.
Das Foto ist wenig schmeichelhaft und wurde zweifellos ausgewählt, um die Story zu dramatisieren: Ich sehe darauf ziemlich rachsüchtig aus. Die unglückselige Kreuzung aus Jogginganzug und Kleid, die ich trage, verrät mir, woher es stammt. Als ich die Abteilung in Hammersmith verließ, gab man eine kleine Abschiedsparty für mich. Es war Dr. Suliemans Idee. Vielleicht dachte er, sie würde mich aufheitern. Tat sie aber nicht. Ich betrank mich, und man musste mir ein Taxi rufen. Das Bild des Physikers ist kleiner, eine unpersönliche Schwarz-Weiß-Aufnahme. Der Artikel auf BBC Online, der uns zu meiner großen Verlegenheit als »Paar« bezeichnet, fährt mit einem Zitat von Leonard Krall fort. Dieser verlangt die umgehende Freilassung seiner Tochter, um ihre eigene und die Sicherheit anderer nicht zu gefährden. Es folgen Erklärungen von Detective Kavanagh und einer Sprecherin von Oxsmith und ein defensiver Kommentar des Krankenhausdirektors. Joy McConey kommt erst am Ende des Artikels zu Wort.
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