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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Jensen
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»Ich glaube, ihre Entführer haben eines nicht verstanden. Bethany ist geschädigt, gefährlich und sehr wütend.« Ich stelle mir ihre homöopathisch blassen Augen vor. »Sie hat schon einmal getötet. Sie ist durchaus fähig, wieder zu töten. Wer immer ihr Unterschlupf gewährt, sollte wissen, dass Menschenleben auf dem Spiel stehen, solange sie nicht sicher untergebracht ist. Man kann Bethany am besten helfen, indem man sie in professionelle Obhut gibt.«
    Ich nehme an, dass die BBC wie auch die großen Nachrichtenagenturen das Interview nicht in ganzer Länge zeigen, weil sie einen Ruf zu verlieren haben. Das übrige Internet ist jedoch frei von solchen Skrupeln. Nach wenigen Klicks habe ich ein Video von Joy McConey gefunden, einen Auszug aus einem längeren Interview. Ich stelle den Ton lauter und drücke Play. Sie hat schwer an |306| sich gearbeitet, seit wir uns auf dem Spielplatz getroffen haben. Die Kampfkleidung ist verschwunden. Das Haar der hellroten Perücke ist feminin hochgesteckt. Das diskrete Make-up und das Kostüm in gedeckten Farben verleihen ihr einen professionellen Ernst, für den man sie wirklich bewundern muss.
    »Als Bethany Krall Insassin in Oxsmith war, sah sie verschiedene Katastrophen voraus, die sich exakt an den vorausgesagten Daten ereigneten.« Ich weiß noch, wie ihre Stimme am Telefon klang, als sie ihren Mann ankreischte, weil er sie zurückhalten wollte. Nun zählt sie mit gemessener, vernünftiger Stimme alle Katastrophen auf, die Bethany vorhergesehen hat, beginnt mit dem Ausbruch des Ätna vor einem Jahr und endet mit dem Erdbeben in Istanbul. »Meine größte Sorge besteht nicht darin, dass Bethany Krall solche Ereignisse voraussagen kann.« Sie hält inne, um ihr Anliegen zu unterstreichen. »Nein, es geht darum, dass sie sie auf irgendeine Weise verursachen kann. Das sage ich nicht leichthin. Ich habe am eigenen Leib erfahren, welche Kräfte in ihr stecken. Als ich vor zwei Monaten an Krebs erkrankte   …«
    Das Wasser kocht, aber ich habe den Tee aufgegeben. Ich halte den Clip an und eile zurück ins Wohnzimmer.
    »Gut, dann müssen wir den Plan ändern«, sagt Ned, als ich die Neuigkeiten überbracht habe. Er und die anderen haben mir mit offenkundiger Sorge zugehört. Dass Bethany bleibt, wird aber nicht infrage gestellt. »Gabrielle, Sie und Frazer werden nicht mit nach London kommen, sondern mit Bethany hier warten. Wir können nicht riskieren, dass man Sie entdeckt. Nach der Pressekonferenz holen wir Sie mit dem Hubschrauber ab.« Er klappt sein Handy auf und wählt eine Nummer. »Ich werde allerdings für den Notfall einen alternativen Transport organisieren.« Er sieht auf die Uhr, wobei er das Handy zwischen Wange und Schulter klemmt. »Kristin, Harish: Wir müssen innerhalb der nächsten Stunden aufbrechen. Hi, Jerry, Ned hier. Noch einen Wagen, nicht nachzuverfolgen   … ja, heute.«
    Ich schaue zu Frazer Melville, dem Mann, der mir eine neue |307| Welt eröffnet und sie gleich wieder zerstört hat. Falls sein missmutiger Gesichtsausdruck etwas mit der Aussicht zu tun hat, mit mir und Bethany hierzubleiben, statt mit seiner Geliebten und den anderen nach London zu fahren und die Welt vor der heraufziehenden Katastrophe zu warnen, teile ich seinen Verdruss.
     
    Die anderen sind gefahren, es ist schon spät. Frazer Melville hat für uns drei eine Fertigmahlzeit von Marks and Spencer zubereitet, die wir an dem Eichentisch in der Küche größtenteils schweigend zu uns nehmen. Das Essen bleibt mir im Hals stecken. Selbst Bethany wirkt bedrückt.
    »Ich schlafe auf dem Sofa im Wohnzimmer«, sage ich, nachdem Bethany mit der Ankündigung, ins Bett zu gehen, die Küche verlassen hat.
    »Wir müssen reden«, sagt der Physiker.
    »Es gibt nichts zu reden. Ich räume das Geschirr weg, wenn du nach Bethany siehst und die Türen abschließt.«
    Als er eine Viertelstunde später zurückkommt, habe ich mich mit einer Decke auf dem Sofa ausgestreckt. Feigling, der ich bin, stelle ich mich schlafend, weil ich ihm nicht in die Augen sehen kann. Ich bin zu müde und zu einsam, und ich weiß, dass ein Gespräch wie dieses alles noch schlimmer machen würde. Ich merke, wie er hereinkommt und sich neben das Sofa kniet. Ich bleibe reglos. Er küsst mich auf die Stirn, worauf eine Welle von Traurigkeit über mir zusammenschlägt.
    Er flüstert: »Ich weiß, dass du wach bist, Gabrielle. Bitte sei nicht mehr wütend. Du musst mir verzeihen. Wir müssen wieder miteinander reden.

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