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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Jensen
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klettern und sich mit einem elektrischen Schlag töten! Und Sie stehen hier herum! Wir müssen sie aufhalten. Los, steigen Sie ein! Der Schlüssel steckt. Herrgott noch mal, fahren Sie doch!«
    Wir erreichen den Fuß des Mastes im selben Augenblick wie Bethany. Der Russe bremst, springt aus dem Auto, lässt Motor und Scheibenwischer laufen. Ich spähe durch die beschlagene Scheibe. Bethany umklammert einen der riesigen Gitterpfeiler des Mastes und legt den Kopf in den Nacken, um die Höhe abzuschätzen. Dann fängt sie an, hinaufzuklettern, flink wie ein Insekt. Frazer Melville kommt schreiend angerannt.
    »Helfen Sie ihm! Schnell!«, rufe ich dem Russen zu. Meine Stimme verhallt im Gewitter.
    Geschickt und entschlossen hat Bethany den niedrigsten Querträger erreicht und balanciert in vier Metern Höhe. Sie streckt sich, um den nächsten zu ergreifen, doch der ist außerhalb ihrer Reichweite. Der Wind kommt aus allen Richtungen, und ihre Füße geraten auf dem nassen Metall ins Rutschen.
    Ich verfluche meine nutzlosen Beine.
    |344| Frazer Melville springt an dem dicken Stützpfeiler hoch und greift mit einer Hand nach einer Strebe. Einen Moment lang baumelt er in der Luft. Dann hievt er sich hoch bis zum Querträger und rutscht vorsichtig auf Bethany zu, ein kleines Bündel aus nassen Kleidern. Durch den Regen höre ich sie schreien, er solle sich verpissen. Er gibt dem Russen ein Zeichen, sich genau unter sie zu stellen. Er hofft wohl, ihren Griff zu lösen. Der Russe gehorcht, doch als Frazer Melville versucht, Bethany wegzuziehen, schlägt sie ihm die Fingernägel ins Gesicht. Er schreit auf vor Schmerz. Dann packt er ihren Oberarm, doch sie hat die Beine fest um die Metallstrebe geschlungen.
    »Sie müssen da rauf!«, rufe ich dem Russen zu. Er kann mich nicht hören. Ich sehe, wie er zögert. Dann klettert er an dem anderen Stützpfeiler hoch. Nach mehreren Versuchen ist er oben und nähert sich Bethany von hinten. Sie sieht ihn nicht kommen. Frazer Melville umklammert noch immer ihren Arm, hält aber nur mit Mühe das Gleichgewicht. Der Russe wirft sich nach vorn und bekommt Bethanys rechtes Bein zu fassen. Sie schreit und tritt nach ihm, trifft ihn im Gesicht, doch er ist unerschüttert und löst ihren Fuß von der Strebe. Beide Männer haben sie jetzt im Griff, doch sie wehrt sich heftig. Ich höre ihre schrillen Schreie und die Männer, die sie zornig anbrüllen. Frazer Melville verliert als Erster das Gleichgewicht. Doch er lässt nicht los. Ebenso wenig wie der Russe.
    Es ist ein furchtbarer Augenblick, zeitlupenlangsam und unausweichlich. Ineinander verschlungen, noch immer kämpfend, kippen sie alle drei zur Seite und stürzen aus vier Metern Höhe auf den Boden.
     
    Bethany hat zunächst hyperventiliert, nun aber geht ihr Atem ruhiger. Sie hat einen hässlichen Kratzer auf der Stirn. Ihre verbundenen Hände sind blutverschmiert. Frazer Melville hat einen riesigen Kratzer auf der Wange, der mit dunkelrotem Blut und Rost bedeckt ist. Der Russe ist unglücklich gelandet und hinkt. |345| Alle drei sind triefend nass. Noch immer prasselt der Regen nieder. Die Hintertüren des Wagens stehen weit offen, der Russe hält Bethany auf dem Rücksitz fest, während Frazer Melville ihre Handgelenke mit meinem Schal fesselt.
    Der Schal hat meiner Mutter gehört und ist von Liberty’s. Diese im Grunde nebensächliche Tatsache macht mich auf einmal sehr traurig. Es ist, als würde meine Mutter mit Entsetzen und Sorge über mich wachen.
    »Das Meer wird Feuer fangen«, verkündet Bethany und richtet den kajalverschmierten Blick auf den Russen. Ihre Augen wandern ziellos umher. Ihr Atem geht unregelmäßig. »Verstehen Sie, was ich sage? Alle werden ertrinken. In einer gigantischen Welle. Sie auch. Sie werden sterben.«
    »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagt Frazer Melville und drückt ihm ein Bündel Geldscheine in die Hand.
    Der Russe nickt, inspiziert das Geld und stopfte es in seine Gesäßtasche. »Kein Problem, Mann.« Sein Ellbogen blutet stark.
    »Er ist gar nicht mein Vater«, nuschelt Bethany, wischt sich die Stirn ab und betrachtet das Blut. »Und sie ist auch nicht meine Mum. Aber sie rammeln sich um den Verstand. Echt wahr.«
    Der Russe schlägt die Tür zu, entsetzt über das, was er da gerettet hat. Er dreht sich um und will gehen.
    »Hören Sie«, sage ich in dringlichem Ton, »das mit dem Tsunami stimmt wirklich. Es wurde noch nicht in den Nachrichten bekanntgegeben. Aber es wäre

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