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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Jensen
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jemanden finden, den ich zu Naturkatastrophen befragen |80| kann, beispielsweise zu dem Tornado in Aberdeen, und wie man sie vorhersagt. Ich hoffe, eine Gästeliste zu entdecken, ohne mich ins Gewühl stürzen zu müssen, und will gerade hinter einer Reihe von Topfpflanzen untertauchen, als ich von einer hochgewachsenen Frau erspäht werde, die ihre manikürte Hand auf meinen Arm legt und wie ein riesiges Scharnier nach vorn klappt, wobei mir ihre Kette ins Gesicht baumelt.
    »Herzlich willkommen. Sie haben ein wunderbares Kleid an.«
    »Oh, vielen Dank.« Ich ringe mich zu einem Lächeln durch. »Das hat mir eine Freundin geschenkt. Ich trage es heute zum ersten Mal.«
    In Wirklichkeit fühle ich mich wie eine Betrügerin, würdelos und fehl am Platz, wie eine Nicht-Frau, die sich als solche ausgibt. Das blutrote Kleid, das an einer aufrecht stehenden Frau elegant aussehen würde, erscheint mir im Rollstuhl einfach nur schrill. Meine Brüste stehen heraus wie zwei Kugeln Vanilleeis und schreien förmlich: Leck an mir. Ich bin ein Dekolleté auf Rädern. Eine behinderte Barbie, die auf die Party geht, aber aus offensichtlichen Gründen nicht flachgelegt wird.
    »Es ist so herzerfrischend, einige echte Opfer des Leidens heute Abend bei uns zu haben«, sagt die Frau in verschwörerischem Ton, die Hand noch immer auf meinem Arm. »Es betont die Dringlichkeit. Und es ist positiv. Das finde ich immer gut. Sie sicher auch.« Sie klopft mir aufmunternd auf die nackte Schulter. »Sie sind ja so tapfer«, sagt sie und stürzt sich in ihr Thema, während wir uns durch ein Meer von Ärschen und Kummerbunden drängen. »Das brauchen Sie gar nicht abzustreiten. Ich weiß, wie grausam es ist, meine Nichte Jilly hatte es auch. Ihr Vater nannte es immer nur SB, wie Scheiß-Bifida.«
    Endlich habe ich kapiert. Spina bifida, offener Rücken. Mein Gott, wie werde ich die nur wieder los?
    »Verzeihung, aber ich hatte einen Autounfall«, sage ich und klopfe auf meinen Rollstuhl, als wäre er ein guter Freund, was er nicht ist und niemals sein wird. »Vielleicht können Ihnen die Leute |81| da drüben helfen.« Ich zeige auf drei weitere Rollstuhlfahrer, bei denen es sich um echte Opfer von »SB« handeln könnte. Das ist ihre Party, also können sie auch das Reden besorgen.
    »Ein Unfall?« Neugier gehört zu den Eigenschaften, die man bei sich selbst gemeinhin angenehmer findet als bei anderen.
    »Mit dem Auto.« Ich habe gelernt, mich kurz zu fassen.
    »Mein Gott, das ist ja furchtbar. Dabei sind Sie so attraktiv!«
    Ich weiß, möchte ich am liebsten sagen. Es hätte besser einen hässlichen Menschen getroffen. Das wäre nicht so schlimm.
    Aber die Leute meinen es nur gut. Ich schenke ihr ein Lächeln, mache eine rasche Drehung und schaue mich um. Ein Rollstuhl teilt Menschenmengen wie das Rote Meer. Dr.   Sheldon-Gray im weißen Smoking ist mit seiner Frau Jennifer da, die ich von dem Foto in seinem Büro kenne. Es schmeichelt ihr, da man darauf weder ihren fleischigen Hintern noch den deutlichen Umriss des Slips sieht. Werde ich mich je daran gewöhnen, dass ich andere Menschen zwangsläufig in Schritthöhe betrachten muss?
    »Gibt es eine Gästeliste?«, platze ich heraus.
    »Am Empfang, nehme ich an«, erwidert Jennifer. Sheldon-Gray ist sichtlich erleichtert, dass ich eine Beschäftigung gefunden habe, zwinkert mir zu und entschuldigt sich. Er und Jen müssen sich um die Gäste kümmern. Wieder teilt sich vor mir das Meer.
    Die Gästeliste hängt an einer Tafel, die sich knapp außerhalb meiner Reichweite befindet. Das ist der letzte Strohhalm. Nach mehreren vergeblichen Versuchen will ich aufgeben und nach Hause fahren, als plötzlich ein großer, kräftiger Mann aus dem Gedränge auftaucht und sich das Gesicht mit einer Serviette abwischt. Er bemerkt mein Dilemma, kommt herüber, reißt die Liste herunter und überreicht sie mir mit einer übertrieben höflichen Geste.
    »Vielen Dank.«
    »Suchen Sie jemand Bestimmtes?« Er spricht mit schottischem Akzent.
    |82| Er ist groß und ein bisschen übergewichtig, mit einem weichen, angenehmen, aber unauffälligen Gesicht. Ich bemerke eine interessante Kleinigkeit an seinem linken Auge – einen grünen Fleck in der haselnussbraunen Iris. »Eigentlich nicht. Ich wollte nur wissen, wer so alles hier ist.«
    »Nun«, er deutet auf einen Namen. »Vor allem Mitglieder des Gutmenschen-Clubs. Aber der hier bin ich. Ein Nichtmitglied.«
Dr.   Frazer Melville, Physikalisches

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