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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Jensen
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Institut.
»Freut mich, Sie kennenzulernen.« Er gibt mir die Hand. »Und Sie?«
    »Gabrielle Fox.« Seine Hand ist warm und ein bisschen verschwitzt. »Ich bin Therapeutin in Oxsmith.«
    Dr.   Frazer Melville, der hoffentlich kein Spinner ist, betrachtet mein Gesicht mit wissenschaftlichem Interesse. »Sollen wir uns wieder ins Gewühl stürzen?« Er zeigt auf einen leeren Tisch in der Nähe der Tür, der im Schutz einer großen Pflanze steht. Dort angekommen, zieht er sich einen Stuhl heran und setzt sich mir gegenüber. »Sie sind also aus London.«
    »Sieht man das?«
    »Zufällig ja.«
    »Sind Sie spezialisiert auf urbane Anthropologie?«
    »Nein, aber Schotte, und ein Fisch auf dem Trockenen erkennt einen Leidensgefährten.«
    »Das liegt nicht an London, sondern am Rollstuhl.« Es klingt missmutiger als beabsichtigt. »Aber wenn Sie Physiker sind, können Sie mir vielleicht einige Fragen beantworten. Ich habe nämlich eine Patientin, die von Klima und Geologie besessen ist.«
    Der große Schotte lächelt. Mir gefällt der grüne Fleck in seinem Auge. Er sieht aus wie ein tropischer Fisch, der sich verirrt hat und hier heimisch geworden ist. Seine Zähne mag ich auch. Dr.   Frazer Melville hat weiße, ebenmäßige Zähne, die nicht zu klein für sein Gesicht sind. Das ist mir wichtig. Ich schätze ihn auf etwa vierzig, obwohl das vollkommen unwichtig ist.
    »Natürlich. Aber ich will ganz ehrlich sein. Ich werde nicht lange hierbleiben. Solche Veranstaltungen sind mir ein Gräuel, |83| und ich hasse dieses lächerliche Kostüm. Gegenüber gibt es ein indisches Restaurant, in dem wir nicht vergiftet werden.«
    Die Vorstellung, das Gedränge am Buffet gegen ein Curry in aller Stille einzutauschen, finde ich sofort verlockend. Außerdem ist Frazer Melvilles Akzent so unterhaltsam, dass ich mehr davon hören möchte. Und mir gefällt seine Einstellung zu Wohltätigkeitsveranstaltungen.
    »Wenn Sie allerdings gern hier bei diesen sorgsam arrangierten, ähm,
amuse-gueules
bleiben wollen   …«
    Ich schüttle den Kopf, während ein Tablett mit Pesto-Konfekt an mir vorbeischwebt. »Jetzt ist es an mir, ehrlich zu sein. Ich kann Ihnen garantieren, dass dieses Kleid hier noch unbequemer ist als Ihr Smoking. Ich schaffe damit sieben von zehn Punkten auf der Schmerzskala.«
    »Es mag unbequem sein, ist aber äußerst attraktiv«, erwidert er mit einem unverhohlenen Blick in meinen Ausschnitt. »Sie sind eine Augenweide, wenn ich das sagen darf.« Na gut, wenn ich mich zur Schau stelle, darf ich mich nicht beschweren. Aber ich befinde mich auf unsicherem Terrain.
    »Das hat mir meine Freundin geschickt. Sie ist Modeeinkäuferin«, sage ich schnell und spüre, wie sich eine extreme Röte von meinem Ausschnitt bis in mein Gesicht ausbreitet und dort Flecken bildet, die vermutlich an einen Rorschach-Test erinnern.
    »Sie brauchen etwas zu essen, Gabrielle Fox. Ich sehe, dass Sie Hunger haben. Darf ich?«
    Während er mich durch die hektische Küche manövriert, komme ich mir wie ein Baby im Kinderwagen vor, das von seinem exzentrischen Onkel entführt wird.
    Draußen übernehme ich wieder die Kontrolle über den Rollstuhl. Die Hitze der Küche brennt noch immer auf meiner Haut. Auch die Röte ist noch nicht ganz verschwunden. Als wir uns nebeneinander einem Zebrastreifen nähern, frage ich mich, ob ich meinen Geburtstag erwähnen soll. Nein, dann würde er mich zum Essen einladen wollen, und das kann ich nicht zulassen. Ich |84| bleibe auf dem Gehweg, doch Frazer Melville schreitet munter voran und zwingt zwei Autos zu einer Vollbremsung. Ich erkenne belustigt, dass ich mich in Gesellschaft eines Mannes befinde, der möglicherweise ebenso gefährlich wie energisch ist.
    Das »Delhi Dreams« mit aromatischen Düften und dämmriger Beleuchtung, Strukturtapete und roten Möbeln ist ein klassischer britischer Inder, dessen Einrichtung sich seit den Siebzigern nicht verändert hat. Als wir an einem ruhigen Ecktisch sitzen, erzählt mir der Physiker, dass er vor sechs Monaten aus Inverness nach Hadport gezogen ist, nachdem er ein Forschungsstipendium der hiesigen Universität erhalten hat. Sein Fachgebiet ist reine und angewandte Physik. Zurzeit beschäftigt er sich mit Hydrodynamik, promoviert hat er über Kinetik, Druck und Bewegung von Meeresströmungen. »Dann wollte ich mir ein breiteres Bild verschaffen, habe Meteorologie studiert und mich mit Luftturbulenzen beschäftigt. Ich wollte herausfinden, warum sich Moleküle so

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