Endzeit
Zwischenstopp beim Schwimmbad ein. Halb sieben ist bei dieser Hitze eine gute Uhrzeit. Während das Wasser mit über dreißig Grad nicht gerade erfrischend ist, hat man mit etwas Glück vielleicht eine Bahn für sich. Diesmal scheine ich jedoch Pech zu haben. Beim Einparken zischt ein blauer Renault mit Hybridantrieb auf den Behindertenparkplatz neben mir, und die Frau auf dem Beifahrersitz starrt mich flehend an. Schon wieder sie. Die Frau mit dem schimmernden roten Haar und den blassen Augen. Bei ihr ist ein Mann. Blond, schütteres Haar, gehetzter Blick, vermutlich unter Zeitdruck. Älter als sie. Er schaut mich über das Lenkrad hinweg an und macht eine hilflose, frustrierte Geste, als erwarte er Verständnis für seine Notlage. Als die Frau die Tür öffnen will, bremst er sie mit einer raschen Bewegung. Und plötzlich ringen sie miteinander, ein unwürdiges, verzweifeltes Handgemenge. Ich male mir das dumpfe, brutale Unglück eines Paares aus, das durch eine Hypothek und die DNA seiner Kinder aneinandergekettet ist. Ich bin sicher, dass ihr Streit in irgendeiner unergründlichen Weise mit mir zu tun hat. Nachdem ich geparkt habe, zögere ich. Den Rollstuhl aus dem Auto zu hieven, fällt mir immer noch schwer. Ich will nicht, dass dieses streitende Paar mit ansieht, wie ich mich abmühe. Die verrückte rothaarige Frau ist mir einmal zu oft über den Weg gelaufen.
Da ich aber auch nicht aufs Schwimmen verzichten möchte, beschließe ich, ein bisschen auf dem Parkplatz herumzufahren, bis sie annehmen, dass ich fort bin, und verschwinden. Als ich aus der Parklücke rolle, sehe ich im Spiegel, wie die Frau den Mann anschreit. |74| Verzweiflung steht in ihrem Gesicht. Irgendetwas ist auf furchtbare, unwiderrufliche Weise falsch gelaufen. Mir kommt der Gedanke, es könnten die Eltern eines Patienten aus Oxsmith sein; das richtige Alter haben sie. Die geistige Krankheit eines Kindes kann schreckliche Folgen haben. Ganze Familien zerbrechen daran. Wenn die Frau mit mir sprechen will, könnte sie sich aber ganz normal einen Termin geben lassen. Als ich zu meinem Parkplatz zurückkehre, sind sie weg, und ich kann das Schwimmbad genießen. Doch ich brauche dreißig anstrengende Bahnen, bis ich den Blick der Frau aus meinen Gedanken verbannt habe.
Das Gewitter ist losgebrochen. Der Donner rumpelt, der Himmel ist mit grauen und schwarzen Wolken übersät. Als Bethany in den Kunstraum kommt, in dem schon eine massige Krankenschwester mit Irokesenschnitt sitzt, schauen wir zu, wie der Himmel schäumt und brodelt. Die Aussicht ist dramatisch, in der Ferne kreisen unablässig die Windräder, gegabelte Blitze zucken über das tintenschwarze Meer, Bäume dehnen sich bis in die Wurzeln, die Kronen bewegen sich im Wind wie Seetang im Wasser, und manchmal reißt ein Ast ab und wird zum Geschoss. Während Blitze das Zimmer erhellen und wieder in Schatten tauchen, wandert Bethany umher und bewegt dabei den Kopf, als wollte sie den Pulsschlag der Luft erspüren. Sie öffnet das Fenster und steckt das Gesicht nach draußen, atmet zwischen den weißen Gitterstäben tief ein.
»Ich würde gern auf einen Berggipfel klettern. Einfach dastehen und mich vom Blitz treffen lassen. Kawumm. Mitten ins Hirn. Oder ins brennende Meer springen.«
»Ich wüsste gern, wie du sonst so über den Tod denkst«, sage ich, es ist einen Versuch wert. Sie beachtet mich nicht. Heute bin ich nebensächlich, eine lästige Ablenkung von ihren großartigen Gedanken. Schließlich bleibt sie mitten im Zimmer stehen, Regentropfen auf dem Gesicht, und atmet mit geschlossenen Augen tief die Gewitterluft ein.
|75| »Hier«, sage ich und halte ihr mit einer Aggressivität, die ich nicht ganz verbergen kann, einen Kohlestift hin. »Du bist zum Zeichnen gekommen, also zeichne.«
Zu meiner Überraschung gehorcht sie. Ich beobachte sie am Arbeitstisch, ihr konzentriertes Gesicht, den Körper, der sich seltsam tief über das Papier beugt. Sie arbeitet schnell, fließend, intensiv, reißt geradezu am Papier. Kohlestaub fliegt auf. Ab und zu wischt sie sich den Schweiß vom Gesicht und hinterlässt dunkle Streifen. Sie zeichnet eine Reihe von Wirbeln und Arabesken, die nichts mit der Szenerie draußen gemein haben. Hastig bemalt sie das Papier und lässt das Blatt auf den Boden fallen, wenn sie es leid ist. Auf einem ist eine menschliche Gestalt zu sehen: ein Mann, der von einer Klippe springt.
»Wer ist das?«
»Haben Sie schon mal die Klippenspringer von Acapulco im
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