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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Jensen
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bewegen, wie sie es tun. Wussten Sie, dass Vogel-, Fisch- und Insektenschwärme sich nach ähnlichen Regeln bewegen? Sie mögen willkürlich erscheinen, doch es steckt eine Logik dahinter. Im Augenblick gibt es viele neue Theorien dazu. Ich kann aber keine davon erklären, ohne mathematische Gleichungen auf eine Serviette zu zeichnen und Sie damit zu Tode zu langweilen. Erzählen Sie mir lieber von Ihrer Patientin.«
    Moment! Erst bin ich dran! Ich habe heute Geburtstag!
, möchte ich am liebsten rufen. Doch selbst wenn ich es ihm auf eine Art sagen könnte, die nicht kindisch wirkt, wäre es immer noch zu plötzlich, unpassend und geradezu tragisch. Er würde sich fragen, weshalb ich nicht mit Freunden unterwegs bin. Das würde mich ebenfalls ins Grübeln bringen und zu unerfreulichen Schlussfolgerungen führen. Wir bestellen Papadams und einen wohltuend aggressiven Rotwein, bevor ich ihm von Bethany erzähle, die ich in einem Anflug professioneller Diskretion als »Kind B.« bezeichne. Ich erzähle ihm von ihrem Aufwachsen mit der
Glaubenswelle
, der nihilistischen Wahnvorstellung, tot zu sein, dem |85| nachfolgenden Durchbruch mit der EKT, ihrer Intelligenz, ihrer Widerspenstigkeit, ihrem militanten Zynismus, ihren Bildern. Das alles sprudelt aus mir hervor, als hätte man eine Flasche entkorkt. Es muss wirklich eine Weile her sein, dass ich mich länger mit jemandem unterhalten habe. Ich frage mich, ob ich wohl den Eindruck erwecke, von Kind B. besessen zu sein, doch selbst wenn, tut es gut, mit einem Außenstehenden, der ihr nie begegnen wird, über sie zu sprechen. »Mir kommt es immer so vor, als würde sie ein Spiel mit mir spielen. Das beunruhigt mich. Sie behauptet, sie könne Naturkatastrophen vorhersehen.«
    »Meteorologische oder geologische?«
    »Erst kürzlich sagte sie, in Schottland werde es einen Tornado geben. Und es gab tatsächlich einen.«
    »Der in Aberdeen?«
    »Ich muss zugeben, das hat mich beunruhigt.«
    Er lächelt. »Das sollte es nicht, denn es ist zweifellos reiner Zufall. Kleine Tornados ereignen sich viel öfter, als man glaubt. In diesem Land gibt es eine ganze Menge davon. Fall geklärt. Weiter.«
    »Und sie kann im Blut von Menschen Dinge spüren, das sagt sie jedenfalls. Blut und Wasser und Fels.«
    »Die haben mehr gemeinsam, als Sie denken«, sagt Frazer Melville, nimmt seine Fliege ab und stopft sie in die Tasche. Als die Papadams kommen, macht er sich mit Schwung darüber her. »Warum schreiben Sie nicht auf, was sie sagt? Oder, besser noch, Sie lassen es Kind B. aufschreiben.«
    »Das tut sie ja schon. Sie hat ganze Notizbücher voller Zeichnungen. Aber ich hake nicht bei den Einzelheiten nach. Es ist ratsam, die Patienten in ihren Phantasien weder zu bestärken noch zu frustrieren.«
    »Ist das das übliche Verfahren?«, fragt der Physiker belustigt. »Gibt es in Oxsmith Verfahrensrichtlinien für Phantasien?«
    »Gewissermaßen. Und nicht nur dort.«
    »Aber wenn es nun keine Phantasien sind?«
    |86| »Sie meinen, wenn wirklich jemand hinter den Paranoiden her ist? Wenn Istanbul wirklich von einem gewaltigen Erdbeben heimgesucht wird?«
    Er hält im Kauen inne. »Die Stadt liegt auf einer Bruchlinie. Also ist diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen. Das ist ziemlich bekannt.«
    »Und nächste Woche wird Rio de Janeiro von einem ungeheuren Hurrikan getroffen? Am neunundzwanzigsten? Darin ist sie sehr genau. Und alles scheint in irgendeiner Weise mit dem Weltuntergang verbunden zu sein.«
    »Parakatastrophologie.« Er holt eine Lesebrille heraus, um die Speisekarte zu studieren. Also doch älter als vierzig, denke ich. Ein bisschen. »Ein ganz neues Fachgebiet. Könnte Experten wie mich arbeitslos machen. In den Staaten, in Vermont, gab es einen Typen, der sich der ›Wetter-Weise‹ nannte. Er ist inzwischen tot. In Wirklichkeit hieß er Louis D.   Rubin. Er schaute sich die Wolken an und sagte Tage mit ungewöhnlichem Wetter voraus. Meistens hatte er recht.«
    »Also könnte sie beispielsweise auch mit diesem Hurrikan recht behalten? Indem sie Zeichen erkennt, die uns Übrigen verborgen bleiben? Das behauptet sie nämlich.«
    »Das möchte ich bezweifeln. Wir sind noch in der Hurrikansaison, und sie werden wegen der steigenden Lufttemperatur jedes Jahr heftiger. Aber Super-Hurrikans sind ein komplexes Phänomen. Mit fortschreitender Klimaerwärmung beobachten wir alle möglichen Dinge, die wir früher nicht kannten. Das ist auch das Problem, wenn man Modelle am Computer

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