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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Jensen
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ist glatt und leer wie eine Plastikmaske. Sie hat sich T-Shirts zu einem riesigen kunterbunten Turban um den Kopf gewickelt und wird von einem Jungen fixiert, dem man vor einem Monat in einer Operation die Augäpfel wieder einsetzen musste, nachdem er sie eigenhändig entfernt hatte, und der nun zu masturbieren beginnt. Business as usual.
    Bethany Krall schaut auf dem kleinen Fernseher im Nebenzimmer CNN, während sich zwei Krankenpfleger zwanglos unterhalten und auf ihren Handys herumtippen. Sie hat es sich bequem gemacht, hockt mit untergeschlagenen Beinen in einem Sessel und kaut wie besessen Kaugummi, als gäbe es einen Geschwindigkeitsrekord, den sie zu brechen hofft, irgendwie hängt das mit dem Albtraum zusammen, der sich auf dem Bildschirm abspielt. Ich sehe sofort, dass sie obenauf ist.
    »Wir sind wieder beim denkbar schlimmsten Szenario«, erklärt eine Frau. »Der Hurrikan Stella hat erneut die Richtung geändert und bewegt sich eindeutig auf Rio zu. Er wird die Stadt innerhalb der nächsten Stunde erreichen.«
    »Yo, Roller.« Bethany grinst, als sie mich entdeckt, und stößt die Faust in die Luft wie ein siegreicher Sportler. Nach drei Tassen Kaffee bin ich wieder in der Spur und weigere mich, vor den neuesten |95| Nachrichten einzuknicken. Der einzig vernünftige Ansatz besteht darin, Bethanys Vorhersage als gut geraten einzustufen. Vermutlich hat sie im Internet Informationen irgendeiner obskuren Wetterstation entdeckt. Oder es ist einfach Zufall. Was hat Frazer Melville doch gleich gesagt?
Fall geklärt.
Ich muss professionell auf Bethanys Überzeugung eingehen, dass es kein Zufall ist, und sie, wenn möglich, umkehren. Über die Alternative, die Joy-McConey-Variante, darf ich gar nicht erst nachdenken. Leider gibt es kein Handbuch, das einem erklärt, wie man mit Leuten umzugehen hat, deren Phantasien zur Abwechslung einmal wahr werden. Ich kann mich nur auf meinen verbliebenen Instinkt verlassen.
    »Ja, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, Bethany«, sage ich.
    »Klar, Blödi«, erwidert sie kauend. Ihr Gesicht ist immer noch blass, aber auf den Wangen ist eine schwache, wächserne Röte zu erkennen, die mich an jene Madonnenstatuen erinnert, die in gewissen mystisch-frommen Winkeln dieser Welt beheimatet sind und blutige Tränen weinen. »Also, Roller? Ist das alles, was Sie zu sagen haben?«
    »Nein«, erwidere ich in neutralem Ton. »Aber ich glaube nicht, dass du den Rest hören möchtest.«
    »Sie wollen sagen, es sei nur ein Zufall gewesen, oder? Na ja, so war Joy am Anfang auch. Damals, als sie noch auf null stand. Wenn Sie das glauben wollen, bitte.« Ich nicke langsam, sage aber nichts. »Die geben den Leuten immer Decken«, bemerkt sie mit einer Kopfbewegung zum Fernseher hin und schiebt das graugrüne Kaugummi im Mund herum. »Warum eigentlich? Da ist es doch nicht kalt.«
    »Bei einem Schock sinkt die Körpertemperatur«, antworte ich automatisch und versuche, meinen Ärger angesichts der lakonischen, rechthaberischen Art, mit der sie das Drama betrachtet, zu unterdrücken. Sie scheint nicht zu begreifen, was es für die Menschen bedeutet. Für Bethany sind sie nur winzige, in Pixel |96| verwandelte Bildschirmwesen. Kleine Sims, deren Leben man willkürlich beeinflussen und auf den Kopf stellen kann. »Vor allem, wenn man nass ist. Decken tun einem gut.«
    Es ist mehr als zwei Jahre her, dass ich Alex’ Ellbogen gehalten und gedacht habe, kaltes Fleisch müsse nicht immer ein schlechtes Zeichen sein. Wann ich ihn einfach nur festhielt und drückte, damit er merkte, dass ich bei ihm war und meine Wärme mit ihm teilte, dann würde irgendwie alles gut. Ich dachte auch an seine Familie. Jetzt würde alles herauskommen. Keine Ausreden mehr, kein Abstreiten, keine Verstellung. Erleichterung mischte sich in meine Übelkeit und auch der leise Verdacht, dass die Panik später kommen würde, wenn ich die Kraft dazu hätte. Ich hoffte, man würde mir ein Beruhigungsmittel geben. Vielleicht war das sogar schon passiert. Ich kam gar nicht auf die Idee, dass ich schwer verletzt sein könnte. Die Tatsache, dass ich nichts spürte, schien ein Segen zu sein, ein Zeichen dafür, dass ich unversehrt war. Ja, man hatte mir sicher ein Beruhigungsmittel gegeben. Wie lieb von ihnen, wie rücksichtsvoll, professionell und gut organisiert. Ich konnte die Augen schließen und schlafen.
    » Mein Leben ist vorbei
«, weint eine amerikanisch synchronisierte Brasilianerin im Blumenkleid.
» Alles ist weg.

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