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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Jensen
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Verlust an Menschenleben und sind durch Unterlassung zu Massenmördern geworden. Ihre Unterlassungssünden haben zu einem Grauen geführt, das jedem Kriegsverbrechen ebenbürtig ist.
    Wir werden getrennte Wege gehen. Wir sind kein Paar, sondern zwei ganz unterschiedliche Menschen, die am Rande eines Abgrunds stehen, den sie sich niemals hätten ausmalen können. Für solche Situationen gibt es keine Regeln. Frazer Melville verlässt das Haus vor mir. Trotzig gehe ich ins Internet und spende, auch wenn es töricht erscheint, tausend Pfund an Merlin, eine kleine, aber anscheinend sehr effektive Katastrophenhilfe, bei der sich mein Vater nach seiner Pensionierung engagiert hat. Doch obwohl ich mich besser fühle, weil ich dazu beitrage, den türkischen Opfern Zelte, Ärzte und Medikamente zu schicken, ist diese Erleichterung nur vorübergehend. Wenige Minuten nachdem ich den Computer ausgeschaltet habe, überwältigen mich erneut Schuldgefühle.
    Um neun Uhr gehe ich wie üblich zur Arbeit. Ich weiß einfach nicht, was ich sonst tun soll.
     
    Die Hitze ist so brutal, dass es eine Qual ist, vor die Tür zu gehen. Man muss sich wappnen, sich mit Trinkwasser, Sonnenbrille, Sonnencreme und Kopfbedeckung ausrüsten. Früher waren das sommerliche Accessoires, heute ist es lebensnotwendig. Der Himmel hängt über der Straße wie eine niedrige Decke, die jeden Augenblick unter dem Druck der Sonne zusammenbrechen kann. Es ist zu heiß für die Handschuhe, mit denen ich gewöhnlich Rollstuhl fahre, und meine Hände rutschen auf dem Weg zum Auto von den Rädern ab. Als ich Oxsmith erreiche, bin ich so geladen, dass ich etwas kaputt schlagen könnte. Ein bisschen paradox, denn heute Morgen stehen zwei Einheiten Anti-Aggressions-Training auf dem Programm, und ich muss gute Ratschläge und Weisheiten verbreiten, an die ich mich zu meiner Verzweiflung selbst nicht halten kann. Während siebzehn Teenager gleichmäßig atmen |149| und sich ruhige Landschaften, positive Energie, blabla vorstellen, plane ich fieberhaft den nächsten Schritt. Er besteht in einer Aufzugfahrt in das Büro meines Chefs, denn es ist nicht länger möglich, Bethanys Prophezeiung zu verschweigen. Ich weiß, dass Sheldon-Gray es nicht gut aufnehmen wird, und verachte ihn schon jetzt dafür.
    Heute wird nicht geschwitzt, es gibt kein Rudergerät, kein Frotteehandtuch, keine Grunzlaute. Dr.   Sheldon-Gray ist vollständig bekleidet, er trägt ein rosa Hemd und eine rosa-graue Krawatte. Die glatte Haut um seinen gestutzten Kinnbart sieht frisch rasiert und feuchtigkeitsgepflegt aus. So viel sorgfältige Vorbereitung lässt auf wichtige Besprechungen schließen. Echte Besprechungen mit echten Leuten.
    Ich zähle nicht dazu. Mir ist klar, dass ich zu viel Kaffee getrunken habe. Ich bin ganz zittrig vor lauter Koffein.
    »Wer ist denn heute das Problem?«, fragt mein Chef, sowie ich in seinem Blickfeld auftauche. Seit ich mich nach Joy McConeys Notizen erkundigt und die Wohltätigkeitsveranstaltung vorzeitig verlassen habe, bin ich in Ungnade gefallen. Ich gelte jetzt offiziell als Querulantin. »Ich wette, es ist Ihr kleiner Tourette-Freund, der sich so gern Plastiktüten über den Kopf zieht, wie heißt er doch gleich?« Er trommelt mit den Fingern auf seinem Schreibtisch aus poliertem Walnussholz.
    »Nein. Eigentlich wollte ich mit Ihnen über das Erdbeben in Istanbul sprechen.«
    »Eine furchtbare Tragödie. Entsetzlich. Ja. Hassan Ehmet hat Familie in der Gegend. Er hat Urlaub genommen. Im Augenblick gehen keine Flüge dorthin, aber er hat einen nach Athen erwischt, die Maschine müsste jeden Moment starten. Er ist sofort nach Gatwick gefahren und hat mich von dort aus angerufen.« Dr.   Ehmet mit seinem kleinen »Ha« und dem schlechten Haarschnitt und der Doktorarbeit, die in der Druckerei der Oxford University Press wartet: Wie wird er angesichts einer derartigen Katastrophe zurechtkommen? »Er will mit dem Auto hinfahren«, sagt Sheldon-Gray. |150| »Ehrlich gesagt bezweifle ich, dass er zurückkommt. Die Türkei wird jeden verfügbaren Traumatherapeuten benötigen. Also wird es bei uns wieder eng, na ja, das ist auch nichts Neues, was? Also, was wollten Sie mir sagen?«
    »Bethany Krall.« Sein Gesicht umwölkt sich, wirkt angespannt. Bevor er protestieren kann, komme ich zur Sache. Als ich erkläre, dass Bethany Krall das Erdbeben offenkundig genau vorausgesagt hat – ich versuche, beiläufig zu klingen, was mir jedoch nicht gut gelingt, da ich in

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