Endzeit
ich ihr geglaubt habe. Sie verlor das Vertrauen in mich. Und ich bekam Angst und bin gegangen.«
»Als Sie gingen, hatten Sie neun Sterne. Sie hat Sie gemocht. Sie haben sich mit ihr verstanden. Warum also hatten Sie Angst?«
»Als ich mich weigerte, ihr bei der Flucht zu helfen, sagte sie, mir würde etwas Furchtbares zustoßen. Es war keine Vorhersage. Es war eine Drohung.«
»Was sollte denn angeblich passieren?«
Mit einer raschen Bewegung hebt sie die Hand und nimmt die Haare ab wie einen Hut. Ich starre auf die nackte weiße Kugel ihres kahlen Kopfes. Fleisch als Architektur. Ich bin zu entsetzt, um etwas zu sagen. Mir würde auch nichts einfallen.
Sie hält die blassrote Perücke umklammert. Die Locken hängen herab wie die Fäden einer Qualle. Ihr prachtvolles Haar. »Krebs.«
Sie wirft die Haare zu Boden, als wären sie ihr egal. Sie bleiben zwischen uns liegen. Ein Beweisstück, die Feststellung einer Tatsache. Zögernd hebe ich sie auf. Die Perücke ist schwerer als sie aussieht, und von innen warm. Ich halte sie ihr hin, doch sie winkt ab. »Die Ärzte haben getan, was sie konnten. Es ist unheilbar.«
Aus dem Sandkasten ist ein Kind aufgetaucht. Ein Junge, etwa |210| drei Jahre alt. Er starrt die Frau mit dem kahlen Kopf an, schaut dann auf meinen Rollstuhl und die roten Haare, die auf meinem Schoß liegen. Dann verzieht er den Mund zu einem furchtbaren Geheul.
Das ich ihm keine Mikrosekunde lang übelnehmen kann.
Ich schaffe es in sechs Minuten zurück zu meiner Straßenecke. Ich bin bis ins Mark erschüttert.
Der Gedanke, jetzt könne es nicht mehr schlimmer werden, ist verzeihlich. Aber ein Irrtum. Denn in der Einfahrt steht der letzte Mensch, den ich jetzt sehen möchte, und plaudert mit meiner Vermieterin. Er trägt denselben verknitterten Leinenanzug, den er gestern Abend für seine blonde Besucherin getragen hat. Ich nähere mich vorsichtig, grüße Mrs. Zarnac und bedenke den Physiker mit einem kurzen Nicken.
»Wo bist du gewesen?«, will er wissen.
»Im Park. Obwohl dich das überhaupt nichts angeht.«
Mrs. Zarnacs Lächeln erstirbt, doch ihre Augen funkeln gierig. Sie spürt die Spannung, erahnt vielleicht einen aufziehenden Streit, von dem sie später ihren männlichen Besuchern erzählen kann. Daher zieht sie sich auch nur widerwillig in ihr Essigreich zurück, nachdem ich sie in aller Deutlichkeit verabschiedet habe. Der Physiker und ich bleiben, wo wir sind, gefangen in einem geistigen Schachmatt. Ich habe nicht vor, ihn hereinzubitten. Jetzt ist er am Zug.
Doch er überrascht mich. »Ich muss mit Bethany sprechen.«
»Das geht nicht. Sie liegt mit Verbrennungen im Krankenhaus.« Ich empfinde eine perverse Befriedigung, als ich das sage, als gehörte die Tatsache zu einer ausgeklügelten Strafe, die ich eigens für ihn ersonnen habe. »Sie hat sich gestern einen elektrischen Schlag versetzt. Sobald sie sich erholt hat, wird sie in eine andere Klinik verlegt. Mit einem anderen Ethos. Dort wird man sie mit jedem nur erdenklichen Medikament zudröhnen. Von da kommt man in der Regel nicht zurück.«
|211| »Mein Gott, das sind schlimme Nachrichten«, murmelt er.
»Ich wollte dir gestern Abend Bescheid sagen. Aber ich konnte dich telefonisch nicht erreichen. Wie kommt das?«
Er gibt sich verwundert, ist aber ein echter Amateurlügner. Seine Sommersprossen stechen wie brauner Zucker hervor, und an seiner linken Schläfe pulsiert eine Ader.
»Ich war noch spät im Büro. Nach fünf ist die Zentrale nicht mehr besetzt. Vermutlich hatte ich auch mein Handy ausgeschaltet.« Ich habe seine linke Schläfe oft geküsst. »Ich war bis Mitternacht dort.«
Ich schlucke. »Was hattest du so lange im Büro zu tun?« Ich klinge wie eine misstrauische Ehefrau.
»Gabrielle, würdest du mir bitte erklären, was dieses Verhör soll?« Er hat sich nicht auf Augenhöhe mit mir gehockt, wie er es gewöhnlich tut. Er wahrt eine strategische Distanz wie eine Bergkette oder Nordkorea. Noch nie hat seine Stimme so kühl geklungen, das will ich nie wieder hören. Wenn er sich jetzt nur herunterbeugen und mich in die Arme nehmen würde …
Würde ich nachgeben und mich danach noch viel mehr verabscheuen.
»Ich mag es nicht, wenn man mich belügt.« Ich verschränke feindselig die Arme und lasse meine Worte wirken.
»Ich habe lange gearbeitet. Ende. Tut mir leid, dass ich deinen Anruf verpasst habe.« Ich werde doch wohl mehr wert sein als das. Er schaut mich aggressiv an. »Könntest du
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