Energie fur Centaur
legte sie es hastig, aber mit
äußerster Sorgfalt zurück. „Das ist ja vierhundert Jahre alt!“
sagte sie ehrfürchtig.
Gernot rieb weniger beeindruckt eine Seite des Buches
zwischen Daumen und Zeigefinger. „Eine Kopie, würde ich
meinen. Gewöhnliches Papier faßt sich anders an.“ Nun prüfte
auch Josephin. „Wenn schon“, erwiderte sie. Dann orientierten
sie sich.
„Dort!“ Gernot wies auf die rechte Wand. Ein großes spitzwinkliges Dreieck wies in eine bestimmte Richtung. Er nahm
Josephin an die Hand, zog sie hinweg von der Vitrine, hin zu
dem Pfeil. „Laß uns das systematisch ansehen“, begehrte er.
Schon nach einigen Minuten bestand kein Zweifel mehr: Sie
befanden sich in einem Museum! Und der Rundgang zeigte
chronologisch die Entwicklung des Planeten Centaur und
seiner Bewohner.
Es begann mit einem dynamischen Modell des Sonnensystems Alpha Centauri, und Gernot hatte den Eindruck, würde
er noch eine Weile dieses verschlungene Ineinandergleiten der
Planeten und Monde, das Sichdrehen der Sonnen umeinander
betrachten, bestünde die Chance, es zu begreifen. Aber
gleichzeitig mit dieser Erkenntnis kam ihm jene, daß es völlig
ausgeschlossen war, all das, was in dieser großen unterirdischen Halle wartete, entdeckt zu werden, in den nächsten
Minuten, Stunden, Tagen auch nur annähernd zu erfassen. Und
das nur bei bloßem Betrachten der Exponate! Aussichtslos
schien es, wollte man die Texte lesen.
Gernot zog Josephin, die sich immer wieder euphorisch über
die Gegenstände beugte, mit großen Schritten durch den Raum,
blickte selbst nach links und rechts, ließ Bilder, meist unerfaßt,
an sich vorbeigleiten, ihren Informationsgehalt nur vage
erahnend. Und als sich plötzlich der Durchbruch zu einem
weiteren Raum auftat, verweigerte Josephin, ihm weiter in
diesem Tempo zu folgen. Sie riß sich förmlich von seiner Hand
los und rief schroff, beinahe böse, daß er sie in Ruhe lassen
solle, und sie sei nicht dämlich, sich das entgehen zu lassen. Es
war das erstemal auf Centaur und überhaupt eins der wenigen
Male, daß sie im Umgang mit Gernot heftig wurde.
Ob sie hier Monate zubringen wolle? fragte er, bestrebt, sie
zu besänftigen. Aber erst als er ihr die Uhr demonstrativ vors
Gesicht hielt, ihr vorrechnete, daß sie Stunden für den Rückmarsch benötigen würden, er aber einverstanden wäre, daß sie
sich in der wenigen verbleibenden Zeit einen Überblick
verschaffen wollten, willigte sie widerstrebend ein. An die
Hand ließ sie sich nicht nehmen, und bald hatte er einen großen
Vorsprung, so daß sie sich mitunter nicht mehr sahen zwischen
den Vitrinen.
Josephin hatte bald den Eindruck, mehr ein Sammelsurium
als eine nach musealen Gesichtspunkten entstandene Systematik vor sich zu haben. Es war Geschichtliches mit Evolutionärem, Geologisches mit Sozialem und auch Künstlerischem arg
vermengt. Hier hatte kein Wissenschaftler gewaltet, eher einer,
der besessen schien, einem Betrachter Wissenswertes der
Epochen zu bieten, der Nachwelt zu erhalten. Und Josephin
ging nicht langsamer, weil sie nach wie vor die einzelnen
Stücke eingehend besichtigte, sondern weil sie mehr und mehr
in Nachdenken über den Sinn des Ganzen verfiel. Und alles,
was sie ansah, sah sie auf einmal unter ganz anderen Gesichtspunkten. Was eigentlich sollte das?
In ihre Gedanken hinein rief Gernot ab und an mahnend
„Fini!“. Es kam aus immer größer werdender Entfernung.
Schließlich ging sie nicht weiter. Sie ließ sich auf den Boden
gleiten, starrte, ohne aber viel zu sehen, in eine Vitrine vor
sich, in der lebensgroße Puppen einer centaurischen Familie –
schon das war mehr als bemerkenswert, denn die Centauren
lebten nicht in Familien – sich über ein Baby beugten, das
friedlich in einer Schale lag.
Warum, zum Teufel, hat Mon uns hierhergeschickt? Das war
doch nicht zufällig! Nein, die Route hatte ein anderer Centaure
empfohlen. Mon ist keine Einheimische. Aber was ist hier
überhaupt einheimisch…?
Und ob Mon oder ein anderer, blieb schließlich unerheblich.
Jemand hatte Interesse, daß sie das sahen. Welche Erwartung
verband er damit? Sollte es nur Zeitvertreib sein, oder gingen
seine Absichten tiefer?
Und dann dachte Josephin an den Eingang zu dieser Kulturstätte. Ja, trotz aller Laienhaftigkeit, eine solche war es ohne
Zweifel. Aber eine, die vom Gros der Centauren ganz bestimmt
nicht besucht wurde, vielleicht gar nur von denjenigen, die sie
gestaltet hatten… Und wieder stand
Weitere Kostenlose Bücher