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Engel aus Eis

Titel: Engel aus Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla L�ckberg
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herausließ. Sie musste ein mit Besonnenheit abgeschossener Pfeilsein und keine Axt, die wild um sich schlug. Sonst erging es einem so wie ihm. Er hatte sich ein Leben eingebrockt, das er größtenteils im Gefängnis verbrachte, und sein eigener Sohn ertrug seinen Anblick kaum. Sonst hatte er niemand. Die anderen Mitglieder der Organisation waren keine Freunde, und er hatte auch nie den Fehler gemacht, sie als solche zu betrachten oder zu versuchen, sie dazu zu machen. Sie waren viel zu erfüllt von ihrem eigenen Zorn, um diese Art von Verhältnis zueinander aufzubauen. Sie hatten das gleiche Ziel. Das war alles.
    Er betrachtete Per und sah seinen Vater, doch er sah auch sich selbst. Und Kjell. Er hatte versucht, ihn während der Besuche im Gefängnis und in den kurzen Phasen, in denen er auf freiem Fuß war, kennenzulernen, doch dieses Vorhaben war zum Scheitern verurteilt gewesen. Wenn er ehrlich war, wusste er nicht einmal, ob er seinen Sohn liebte. Vielleicht hatte er das einst getan. Möglicherweise hatte sein Herz einen Sprung gemacht, wenn Rakel mit dem Jungen in die Haftanstalt kam. Er konnte sich nicht mehr entsinnen.
    Merkwürdigerweise konnte er sich hier am Küchentisch mit seinem Enkelsohn nur noch an die Liebe zu Elsy erinnern. Sie war sechzig Jahre alt und hatte sich trotzdem in sein Gedächtnis gebrannt. Sie und der Enkelsohn waren die einzigen Menschen, die ihm je etwas bedeutet hatten. Die Gefühle in ihm weckten. Abgesehen davon war er innerlich leblos. Sein Vater hatte alles abgetötet. Frans hatte schon lange nicht mehr daran gedacht. Nicht an seinen Vater und nicht an alles andere. Doch dann war die Vergangenheit plötzlich zum Leben erwacht, und nun wurde es Zeit, sich damit zu befassen.
    »Kjell dreht durch, wenn er erfährt, dass du hierherkommst.« Carina stand in der Tür. Sie schwankte leicht, war aber sauber und angezogen. Sie hatte sich ein Handtuch umgelegt, damit ihre triefenden Haare nicht den Pullover durchnässten.
    »Es ist mir egal, was Kjell sagt«, erwiderte Frans trocken. Er stand auf, um sich und Carina Kaffee einzuschenken.
    »Der sieht ungenießbar aus.« Sie setzte sich und starrte die randvolle Tasse an.
    »Du trinkst das jetzt.« Frans öffnete Türen und Schubladen.
    »Was machst du da?« Carina nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. »Lass meine Schränke in Ruhe!«
    Wortlos suchte er die Flaschen zusammen und goss den Inhalt systematisch in den Abfluss.
    »Du hast kein Recht, dich einzumischen!«, schrie sie. Per stand auf, um zu gehen.
    »Du bleibst hier«, befahl Frans mit ausgestrecktem Zeigefinger. »Nun reißen wir das Übel mit der Wurzel aus.«
    Per ließ sich gehorsam auf den Stuhl sinken.
    Eine Stunde später waren alle Schnapsflaschen leer. Nur die Wahrheiten waren geblieben.
    Kjell starrte auf den Computerbildschirm. Das schlechte Gewissen nagte ununterbrochen an ihm. Seit ihn gestern die Polizei besucht hatte, sammelte er Kraft, um zu Per und Carina zu fahren. Aber er schaffte es einfach nicht. Er wusste nicht, an welchem Ende er anfangen sollte. Erschrocken stellte er fest, dass er allmählich den Mut verlor. Mit äußeren Feinden kämpfte er unermüdlich. Er ließ sich weder von Politikern noch von Neonazis einschüchtern und drosch unverdrossen auf die größten Windmühlenflügel ein. Aber wenn es um seine Familie ging, um Per und Carina, hatte er plötzlich keine Energie mehr. Sein schlechtes Gewissen hatte ihm die Kraft geraubt.
    Er betrachtete das Foto von Beata und den Kindern. Natürlich liebte er Magda und Loke und wollte nicht ohne sie leben … aber gleichzeitig war alles so schnell gegangen und so schiefgelaufen. Er hatte sich in eine Situation hineinmanövriert, die aus dem Ruder lief, und er fragte sich manchmal, ob sie mehr Gutes oder mehr Schlechtes mit sich gebracht hatte. Vielleicht war das Timing ungünstig gewesen. Oder er befand sich in einer Art Midlife-Crisis, und Beata war genau zum falschen Zeitpunkt aufgetaucht. Zuerst konnte er es gar nicht fassen. Dass sich tatsächlich ein hübsches junges Mädchen, in deren Augen er doch ein alter Knacker sein musste, für ihn interessierte. Aber es war die Wahrheit. Und er konnte ihr nicht widerstehen. Mit ihr zu schlafen, ihren festen nackten Körper zu spüren, ihre anhimmelnden Blicke zu sehen, die sich wie ein Scheinwerfer auf ihn richteten,hatte ihn förmlich berauscht. Er konnte nicht mehr klar denken, keinen Schritt mehr zurücktreten und nicht den geringsten vernünftigen Gedanken

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