Engel aus Eis
noch, wenn Sie mich weitersprechen lassen.«
»Fahren Sie fort.« Mellbergs Interesse war gegen seinen Willen geweckt.
»Auf dem Friedhof von Fjällbacka gibt es ein etwas merkwürdiges Grab aus dem Ersten Weltkrieg. Darin liegen zehn deutsche Soldaten begraben. Sieben konnten identifiziert werden, drei sind unbekannt.«
»Du hast das Gekritzel vergessen«, warf Patrik ein, der eingesehen hatte, dass er die Argumentation besser seiner Ehefrau überließ. Ein guter Mann weiß, wann er nachgeben muss.
»Genau, das ist auch ein Mosaikstein.« Erica erzählte von den achtlos hingeschriebenen Worten auf dem Notizblock, die sie beim Betrachten der Fotos vom Tatort entdeckt und schließlich als Ignoto milite entziffert hatte.
»Wie kommen Sie dazu, sich Bilder vom Tatort anzusehen?«, fragte Mellberg wütend und warf Patrik einen bösen Blick zu.
»Darüber reden wir später«, antwortete Patrik, »jetzt hör ihr erst mal zu.«
Grunzend ließ Mellberg die Sache auf sich beruhen und gab Erica zu verstehen, dass sie fortfahren solle.
»Er hatte die Worte immer wieder auf seinen Block geschrieben, und ich sah nach, was sie bedeuten. Es handelt sich um eine Inschrift am Triumphbogen in Paris, genauer gesagt am Grab des unbekannten Soldaten. Genau das bedeutet das Zitat: der unbekannte Soldat.«
Da Mellberg noch immer kein Licht aufzugehen schien, sprach Erica wild gestikulierend weiter.
»Ich hatte das die ganze Zeit im Hinterkopf. Wir haben einen norwegischen Widerstandskämpfer, der 1945 verschwindet, und niemand weiß, wo er abgeblieben ist. Wir haben Eriks Gekritzel über den unbekannten Soldaten. Britta erwähnte alte Knochen, und dann sind da noch die Namen, die ich von Herman habe. Worauf ich hinauswill: Als ich vorhin an diesem Grab auf dem Friedhof von Fjällbacka vorbeikam, begriff ich, warum mir die Namen so bekannt vorkamen. Sie sind dort eingraviert.« Erica machte eine Pause, um Luft zu holen. Mellberg starrte sie an.
»Paul Heckel und Friedrich Hück sind also zwei Deutsche, die auf dem Friedhof von Fjällbacka in einem Grab aus dem Ersten Weltkrieg liegen?«
»Ja«, antwortete Erica und überlegte, wie sie weitermachen sollte, aber Mellberg kam ihr zuvor.
»Sie wollen damit also sagen, dass …«
Sie holte tief Luft und warf Patrik einen Blick zu. »Ich meine damit, dass sich höchstwahrscheinlich eine zusätzliche Leiche in dem Grab befindet. Meiner Ansicht nach ist der norwegische Widerstandskämpfer Hans Olavsen dort begraben. Und ich weiß nicht genau, wie alles zusammenhängt, aber ich bin mir sicher, dass dies der Schlüssel zu den Morden an Erik und Britta ist.«
Es wurde vollkommen still. Niemand sagte ein Wort, und die einzigen Geräusche, die in Mellbergs Zimmer noch zu hören waren, stammten von Maja und Ernst, die zusammen herumalberten.
Nach einer Weile sagte Patrik leise: »Ich weiß, es hört sich vielleicht wahnsinnig an, aber ich habe die Sache mit Erica bereits besprochen. An dem, was sie sagt, ist etwas dran. Ich habe keine konkreten Beweise, aber es gibt genug Indizien, die darauf hindeuten. Außerdem besteht durchaus die Möglichkeit, dass Erica recht hat und die beiden Morde auf dieser Sache beruhen. Ich weiß nicht, wie und warum. Schritt eins wäre, zu überprüfen, ob wirklich noch ein Toter in dem Grab liegt, und wenn ja, wie er ums Leben gekommen und dort hineingeraten ist.«
Mellberg antwortete nicht. Er faltete die Hände und dachte schweigend nach. Schließlich gab er ein tiefes Seufzen von sich.
»Vermutlich bin ich vollkommen von Sinnen, aber ich glaube, ihr könntet recht haben. Ich kann nicht garantieren, dass es mir gelingt, weil wir, wie gesagt, diesbezüglich alle Rekorde brechen und der Staatsanwalt an die Decke gehen wird, aber ich werde es versuchen. Mehr kann ich nicht versprechen.«
»Mehr wollen wir auch gar nicht«, sagte Erica eifrig. Sie sah aus, als würde sie Mellberg am liebsten um den Hals fallen.
»Bleiben Sie auf dem Teppich. Ich glaube nicht, dass ich es schaffe, aber ich gebe mein Bestes. Dafür brauche ich allerdings Ruhe.«
»Wir sind schon weg!« Patrik stand auf. »Sag uns bitte sofort Bescheid, wenn du etwas hörst.«
Ohne zu antworten, winkte er die beiden hinaus und griff mit der anderen Hand nach dem Telefonhörer, um sich in die vermutlich schwierigste Überzeugungskampagne seines Lebens zu stürzen.
Fjällbacka 1945
E r wohnte seit einem halben Jahr bei ihnen, als die Katastrophe über sie hereinbrach. Seit drei Monaten
Weitere Kostenlose Bücher