Engel aus Eis
Traurig griff Anna nach einer Zimtschnecke. »Dabei ist es eigentlich gar nicht Belindas Schuld, das versuche ich Dan ja zu erklären. Sie reagiert auf eine neue Situation, die sie sich nicht selbst ausgesucht hat. Das ist doch berechtigt. Sie hat nicht darum gebeten, plötzlich mich und zwei ungezogene Kleinkinder am Hals zu haben.«
»Das stimmt eigentlich. Aber ihr könnt doch trotzdem von ihr verlangen, dass sie sich zivilisiert benimmt. Das ist Dans Aufgabe.Dr. Phil sagt, dass Stiefeltern nie versuchen sollten, ein so großes Kind zu erziehen …«
»Dr. Phil …« Anna lachte so herzlich, dass ihr die Krümel im Hals stecken blieben und sie einen kräftigen Hustenanfall bekam. »Mensch, Erica, für dich war es wirklich höchste Zeit, den Erziehungsurlaub zu beenden. Du guckst Dr. Phil?«
»Ich habe aus der Sendung viel gelernt«, gab Erica beleidigt zurück. Mit ihrem Hausgott erlaubte man sich keine Scherze. Dr. Phil hatte den Höhepunkt des Tages dargestellt, und sie hatte sich vorgenommen, ihre Mittagspause auch in der Schreibphase zur Sendezeit von Dr. Phil einzulegen.
»Vielleicht ist ja etwas Wahres dran«, gab Anna widerwillig zu. »Ich habe das Gefühl, dass Dan die Sache entweder nicht ernst genug oder viel zu ernst nimmt. Ich reiße mir seit Freitag ein Bein aus, um ihn davon zu überzeugen, dass er mit Pernilla keinen Streit über die Erziehung der Kinder anfangen soll. Er faselte die ganze Zeit, sie könne nicht verantwortungsvoll mit den Kindern umgehen und … hat sich da ziemlich reingesteigert. Mittendrin kam Belinda runter, und dann ging es drunter und drüber. Und nun will sie nicht mehr bei uns bleiben. Dan hat sie in den Bus nach Munkedal gesetzt.«
»Was sagen Emma und Adrian dazu?« Erica nahm sich noch eine Schnecke. Nächste Woche würde sie ihre Ernährung umstellen. Ganz bestimmt. Wenn sie erst einen Schreibrhythmus gefunden hatte …
»Die finden es super. Gott sei Dank!« Anna klopfte auf Holz. »Sie vergöttern Dan und die Mädchen. Außerdem finden sie es total klasse, ältere Geschwister zu haben. An dieser Front ist es also bis jetzt ruhig.«
»Und wie gehen Malin und Lisen damit um?« Erica meinte die elf und acht Jahre alten Schwestern von Belinda.
»Auch richtig gut. Sie toben gerne mit Emma und Adrian herum und scheinen mich zumindest zu tolerieren. Die Probleme gibt es vor allem mit Belinda, aber sie ist wahrscheinlich in dem Alter, wo es sowieso massenhaft Probleme gibt.« Sie langte auch noch einmal zu. »Wie geht es denn dir? Kommst du mit dem Buch voran?«
»Ganz okay. Am Anfang läuft es immer etwas schleppend, aber ich habe viel schriftliches Material, auf dem ich aufbauen kann. Außerdem werde ich einige Interviews machen. Das Ganze nimmt langsam Form an, aber …« Erica zögerte. Ihr Beschützerinstinkt war tief verwurzelt. Trotzdem beschloss sie, dass Anna das Recht hatte zu erfahren, womit sie sich beschäftigte. Sie fasste die Geschehnisse zügig zusammen, berichtete von dem Orden und den anderen Dingen aus Elsys Kiste, von den Tagebüchern und den Gesprächen mit den Menschen aus der Vergangenheit ihrer Mutter.
»Und das erfahre ich erst jetzt?«
Erica rutschte unruhig hin und her. »Ich weiß … aber jetzt erzähle ich es dir ja.«
Anna schien zu überlegen, ob sie ihre Schwester noch weiter beschimpfen sollte, ließ es dann aber lieber bleiben.
»Ich würde die Sachen gerne sehen«, sagte sie trocken. Erica stand hastig auf. Sie war erleichtert, dass ihre Schwester nicht noch mehr Krach schlug, weil sie sie nicht informiert hatte.
»Natürlich, ich hole sie.« Erica rannte ins Obergeschoss und holte die Gegenstände aus ihrem Arbeitszimmer. Als sie wieder herunterkam, legte sie die Tagebücher, das Kinderhemdchen und den Orden auf den Tisch.
Anna starrte die Dinge an. »Wo hast du das her, verdammt noch mal?« Sie nahm den Orden in die Hand und betrachtete ihn genau. »Und wem gehört das hier?« Anna hielt das fleckige Hemdchen in die Höhe. »Ist das Rost?« Sie hielt sich den Stoff ganz nah vors Gesicht, um die Flecke, die das Hemd größtenteils bedeckten, im Detail zu betrachten.
»Patrik meint, es wäre Blut«, sagte Erica. Erschrocken hielt Anna das Hemdchen weiter weg.
»Blut? Warum sollte Mutter ein blutbeflecktes Hemdchen in einer Kiste aufbewahren?« Angeekelt legte sie das Kleidungsstück zurück und griff nach den Tagebüchern.
»Sind die jugendfrei?« Anna wedelte mit den blauen Büchern. »Oder stehen da Sexgeschichten drin,
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