Engel aus Eis
mitzuteilen, aber jetzt weiß ich ja, warum …« Sie senkte den Blick.
»Ihnen ist nichts Ungewöhnliches aufgefallen?«, fragte Martin.
Laila schüttelte heftig den Kopf. »Nein, das kann ich nicht behaupten.«
»Wissen Sie noch, an welchem Tag Sie nicht ins Haus kamen?«, fragte Patrik.
»Ja, es war nämlich mein Geburtstag. Ich dachte, das ist typisch, dass ich so ein Pech habe und an meinem Geburtstag nicht putzen kann. Ich wollte nämlich losgehen und mir von dem Geld etwas kaufen.«
»An welchem Tag haben Sie denn Geburtstag?«
»Mann, bin ich blöd«, sie verzog das Gesicht, »es war der siebzehnte Juni. Ganz sicher. Am siebzehnten Juni. Ich bin dann noch zweimal hingegangen, aber es war noch immer keiner da und kein Schlüssel unter der Matte. Da dachte ich, sie haben wohl vergessen, mir zu sagen, dass sie im Sommer verreisen.« Sie zuckte auf eine Weise mit den Achseln, die verriet, dass die Leute oft vergaßen, ihr etwas mitzuteilen.
»Vielen Dank, das sind äußerst wertvolle Informationen für uns.« Patrik reichte ihr zum Abschied die Hand, erschauerte aber bei ihrem schlaffen Händedruck, der an einen toten Fisch erinnerte.
»Was meint ihr?«, fragte Patrik, als sie wieder im Auto saßen und zurück zur Dienststelle fuhren.
»Wir können mit ziemlicher Sicherheit die Schlussfolgerung ziehen, dass Erik Frankel zwischen dem fünfzehnten und dem siebzehnten Juni ermordet wurde«, sagte Paula.
»Ich bin geneigt, dir zuzustimmen.« Patrik nickte, während er viel zu schnell in die scharfe Kurve kurz vor Anrås fuhr und um ein Haar mit einem Müllwagen zusammengestoßen wäre. Müllmann Leif hob drohend die geballte Faust, und Martin klammerte sich erschrocken an den Haltegriff über der Beifahrertür.
»Hast du den Führerschein zu Weihnachten bekommen?«, lachte Paula, die das soeben überstandene Nahtoderlebnis offenbar kaltließ.
»Was meinst du damit? Ich bin doch ein hervorragender Fahrer«, erwiderte Patrik gekränkt und sah Martin hilfesuchend an.
»Aber klar doch!«, keuchte Martin. Dann drehte er sich zu Paula um. »Ich wollte Patrik bei Schwedens bester Autofahrer anmelden, aber die hielten ihn wohl für überqualifiziert. Sie meinten, es wäre zu langweilig, wenn der Sieger von vornherein feststeht.«
Paula kicherte. Patrik zischte beleidigt: »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Wir haben schon so viele Stunden gemeinsam in einem Auto verbracht – habe ich jemals einen Unfall verursacht? Siehst du! Ich fahre seit Jahren tadellos, das ist alles üble Nachrede.« Schnaufend warf er Martin einen bitterbösen Blick zu, was dazu führte, dass er beinahe gegen den Saab vor ihnen prallte und eine Vollbremsung einlegen musste.
»Keine weiteren Fragen.« Martin hielt sich die Hände vors Gesicht, und Paula brach vor Lachen fast zusammen.
Auf dem letzten Stück bis zur Dienststelle schmollte Patrik, aber immerhin hielt er sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung.
Die Wut auf seinen Vater hatte sich noch immer nicht gelegt. Diese Wirkung hatte Frans immer auf ihn. Oder? Eigentlich war es gar nicht wahr. Nicht immer. In seiner Kindheit hatte die Enttäuschung überwogen. Mit Liebe vermischte Enttäuschung, die sich mit den Jahren in einen harten Klumpen aus Hass und Zorn verwandelte. Ihm war bewusst, dass diese Gefühle alle seine Entscheidungen bestimmt hatten und dass somit immer noch sein Vater sein Leben dominierte, aber er war vollkommen machtlos dagegen. Er brauchte nur daran zu denken, wie er sich gefühlt hatte, als seine Mutter ihn zu einem dieser Besuche bei Fransim Gefängnis schleifte. Der graue Besuchsraum. Total unpersönlich und kalt. Die linkischen Versuche seines Vaters, ein Gespräch mit ihm anzufangen und so zu tun, als würde er an seinem Leben teilnehmen und es nicht von außen betrachten. Durch ein Gitter.
Der letzte Gefängnisaufenthalt seines Vaters lag viele Jahre zurück, aber das bedeutete nicht, dass er ein besserer Mensch geworden wäre, sondern nur, dass er sich nicht mehr so dumm anstellte. Er hatte einen anderen Weg eingeschlagen. Und folglich war Kjell genau in die entgegengesetzte Richtung gegangen. Er schrieb mit so viel Leidenschaft über fremdenfeindliche Organisationen, dass sein Ruf mittlerweile weit über den Bohusläningen hinausreichte. Wie oft war er nach Stockholm geflogen, um auf irgendeinem Fernsehsofa über die destruktiven Kräfte in der rechtsradikalen Szene zu debattieren und den Zuschauern zu erklären, wie die Gesellschaft seiner
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