Engel aus Eis
Ansicht nach mit diesen Kräften umgehen sollte. Im Gegensatz zu vielen Vertretern des laschen Zeitgeistes, die die Neonazis in den öffentlichen Raum einladen wollten, um eine offene Diskussion mit ihnen zu führen, befürwortete er eine harte Linie. Solche Leute durfte man einfach nicht tolerieren. Diese unerwünschten Störenfriede mussten auf jede erdenkliche Weise bekämpft werden, sollten jedes Mal, wenn sie sich zu Wort meldeten, eins aufs Dach bekommen und durften keinesfalls salonfähig werden.
Er stellte das Auto vor dem Haus seiner Exfrau ab. Diesmal hatte er sein Kommen nicht angekündigt. Manchmal fuhr sie absichtlich weg, bevor er kam. Heute war sie zu Hause. Er hatte eine ganze Weile ein Stückchen entfernt im Auto auf sie gewartet. Nach einer guten Stunde bog sie um die Ecke. Offenbar kam sie vom Einkaufen, denn sie holte einige Konsum-Tüten aus dem Kofferraum. Kjell wartete, bis sie drinnen war, und fuhr erst dann die letzten hundert Meter bis vors Haus. Er stieg aus und klopfte mit Nachdruck an die Haustür.
Carina machte ein müdes Gesicht, als sie sah, wer draußen stand.
»Ach, du bist das. Was willst du?« Sie war kurz angebunden. Kjell merkte, wie er wütend wurde. Dass sie den Ernst der Lageeinfach nicht begriff. Nicht einsah, dass es Zeit für härtere Maßnahmen war. Schuldgefühle brannten in seiner Brust und heizten seinen Ärger noch an. Dass die blöde Kuh ständig ihr gebrochenes Herz vor sich hertragen musste. Immer noch. Nach zehn Jahren.
»Wir müssen reden. Über Per.« Schroff drängte er sich an ihr vorbei und zog demonstrativ Schuhe und Jacke aus. Einen Moment lang schien Carina protestieren zu wollen, doch dann ging sie achselzuckend in die Küche, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich kampfbereit an die Arbeitsplatte. Diese Choreographie tanzten sie nicht zum ersten Mal.
»Was ist denn nun wieder?« Als sie den Kopf schüttelte, fiel ihr der schwarze Pony in die Augen, und sie musste ihn sich mit dem Zeigefinger aus dem Gesicht streichen. Diese Geste hatte er schon so oft gesehen. Sie gehörte zu den Dingen, die er am Anfang an ihr geliebt hatte. In den ersten Jahren. Bevor Alltag und Tristesse die Oberhand gewannen, bevor die Liebe verblich und er einen anderen Weg einschlug. Ob er sich richtig oder falsch entschieden hatte, wusste er noch immer nicht.
Kjell zog einen Küchenstuhl zu sich heran und setzte sich. »Wir müssen etwas unternehmen. Du musst endlich begreifen, dass sich dieses Problem nicht von alleine löst. Wenn man erst mal auf dieser Schiene ist …«
Carina hielt den Zeigefinger in die Höhe. »Wer behauptet denn, ich würde glauben, dass sich das Problem von selbst löst? Ich finde lediglich, dass man die Sache anders angehen sollte. Per wegzuschicken ist jedenfalls keine Lösung.«
»Wann begreifst du endlich, dass er aus diesem Milieu raus muss!« Er strich sich wütend durchs Haar.
»Mit Milieu meinst du wohl deinen Vater.« Carinas Stimme triefte vor Verachtung. »Bring erst mal deine eigenen Probleme in Ordnung, bevor du Per da mit hineinziehst.«
»Wovon redest du?« Kjell merkte, dass er lauter wurde, und atmete einige Male tief durch. »Erstens meine ich nicht nur meinen Vater, wenn ich sage, dass er hier weg muss. Glaubst du etwa, ich wüsste nicht, was los ist? Ich weiß genau, dass du in jedem Schrank und in jeder Schublade Flaschen versteckt hast.« Kjellmachte eine ausladende Handbewegung. Carina wollte ihm widersprechen, aber er winkte ab und zischte zwischen zusammengebissenen Zähnen: »Zwischen Frans und mir gibt es überhaupt nichts zu klären. Ich persönlich hätte am liebsten nie wieder etwas mit dem Arschloch zu tun, und ich werde nicht zulassen, dass er Einfluss auf Per nimmt. Aber da wir den Jungen ja nicht ständig überwachen können, und du offensichtlich kein besonderes Interesse daran hast, ihn zu kontrollieren, sehe ich keine andere Lösung, als einen Ort für ihn zu finden, wo es Leute gibt, die mit so etwas umzugehen wissen.«
»Wie stellst du dir das vor?«, schrie Carina, und ihr dunkler Pony fiel ihr wieder in die Augen. »Jugendliche werden nicht einfach ins Erziehungsheim geschickt, die müssen erst etwas anstellen, aber vielleicht reibst du dir ja schon die Hände und kannst es gar nicht erwarten …«
»Einbruch«, fiel Kjell ihr ins Wort. »Er hat einen Einbruch verübt.«
»Was redest du da für einen Scheiß? Welcher Einbruch?«
»Anfang Juni. Der Besitzer des Hauses hat ihn auf frischer
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